Sperrvermerke nicht leichtfertig aussprechen
Fachhochschulen zeichnen sich durch einen hohen Praxisbezug der Ausbildung aus. Deswegen wird es gern gesehen, wenn Studenten ihre Abschlussarbeit in einem Unternehmen schreiben. Doch nicht selten wird der Einblick in betriebliche Abläufe mit einem Sperrvermerk „bezahlt“. Zu leichtfertig werde dieses rigorose Mittel angewendet, sagt Prof. Dr. Ulrich Bogenstätter, Studiengangsleiter für das Technische Gebäudemanagement an der Fachhochschule Mainz. Er plädiert für einen sensiblen Umgang mit dem Werkzeug, damit interessante Arbeiten nicht weggeschlossen werden müssen.
Sperrvermerke sieht Bogenstätter kritisch, weil Fachhochschulen keinen akademischen Mittelbau ausbilden. Sie verfügen nicht über ein Heer von Doktoranden, wie es Universitäten haben, den Fachhochschulen fehlt das Promotionsrecht. Neues Wissen wird dort also durch die Professoren und die Studenten generiert. Sind die Arbeiten jedoch mit einem Sperrvermerk versehen, kann auf die Erkenntnisse nicht aufgebaut werden.
Seit 1999 haben 428 Studenten ihre Bachelor- oder Masterarbeit im Technischen Gebäudemanagement an der FH Mainz verfasst. Davon waren 48 Arbeiten mit einem Sperrvermerk versehen. Das sind immerhin 11%, also jede neunte Arbeit, die weggeschlossen wird – und damit quasi für den Papierkorb produziert wurde.
Praxispartner wünschen sich häufig den Sperrvermerk
Eine Arbeit kann aus verschiedenen Gründen gesperrt sein. Zum einen hat der Verfasser das Recht, seine Arbeit unter Verschluss zu halten. Häufiger geschieht es jedoch, dass der Praxispartner, also das Unternehmen, bei dem der Student seine Arbeit angefertigt hat, einen Sperrvermerk wünscht.
Über die Gründe kann auch Bogenstätter nur spekulieren. Vielleicht hat das Unternehmen Sorge, dass firmeninterne Daten auf diesem Wege zugänglich werden. Ein anderer möglicher Grund könnte sein, dass die Unternehmen sich den Wettbewerbsvorteil durch die Erkenntnisse der Arbeit sichern wollen. Dafür müssten die aber erst einmal im Unternehmen umgesetzt werden, gibt Bogenstätter zu bedenken. Doch auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Das Unternehmen möchte unter Verschluss halten, dass bestimmte Verfahren im Unternehmen noch nicht „state-of-the-art“ sind.
Nicht selten dürften auch rein menschliche Nöte Auslöser sein. Vielleicht sorgt sich der Betreuer im Unternehmen, dass er sich gegenüber seinem Chef rechtfertigen muss, welche Daten der Student bearbeiten durfte. Der Sperrvermerk wird pauschal und leichtfertig als Sicherungsnetz eingezogen.
Durch Sperrvermerke bringen sich Studenten selbst um Chancen
Dabei bringen sich die Studenten um einige Chancen, wenn sie die Arbeit unter Verschluss halten wollen. Sie könnten diese dann nicht mehr bei Wettbewerben einreichen, sagt Bogenstätter. Auch als Türöffner bei Vorstellungsgesprächen lässt sich das Werk nicht mehr einsetzen. Von einer Veröffentlichung in einer Hochschulreihe ganz abgesehen. Doch genau das plant Bogenstätter. Er möchte künftig Kurzfassungen der Abschlussarbeiten auf der hochschuleigenen Internetseite präsentieren. Das geht nur, wenn die Arbeiten frei zugänglich sind. Auch in der Immobilien Zeitung werden in der Rubrik mit dem „Doktorhut“ ebenfalls nur immobilienwirtschaftliche Abschlussarbeiten ohne Sperrvermerk vorgestellt.
„Ich habe in meiner elfjährigen Hochschulpraxis keine Arbeit gesehen, die sperrwürdig gewesen wäre“, sagt Bogenstätter. Zumindest die Titel der Arbeiten lassen dahinter nicht sofort brisante Firmeninterna vermuten. Da geht es beispielsweise um die Verringerung der Verschmutzungsneigung von Fassaden, das Flächenmanagement von Büroflächen oder eine Methode zur Auswahl und Entwicklung reinigungsgerechter Bauwerksteile in Sanitärräumen.
Nicht vergessen werden darf zudem, dass sich die Studenten auch nur eine begrenzte Zeit mit ihrem Thema beschäftigen: Am Ende des Bachelorstudiums haben sie zwei und am Ende ihres Masterstudiums drei Monate Zeit für die Bearbeitung ihres Themas. Auch diese Bearbeitungszeit lässt es sinnvoll erscheinen, wenn Themen von anderen Studenten „weitergedreht“ werden können.
Es gibt viele alternative Lösungen zum Sperrvermerk
Und selbst wenn bestimmte Daten nicht für jeden einsehbar sein sollen, gibt es dafür eine Vielzahl von Lösungen: Zum einen könnten die Daten anonymisiert oder die Zahlen verändert werden. Zum anderen gibt es auch die Möglichkeit, das Thema so zuzuschneiden, dass eventuell geheime bzw. schützenswerte Inhalte gar nicht erst publik werden. Es können auch nur einzelne Teile der Arbeit, z.B. der Anhang mit dem brisanten Datenmaterial, geschützt werden. In Gesprächen kann geklärt werden, welche Vorgehensweise sich eignet.
Bogenstätter wurmen die Sperrvermerke auch deshalb, weil er aus der Hochschule heraus gerne einen aktuellen Beitrag zur fachlichen Diskussion in der Branche leisten will. Er möchte raus aus dem Elfenbeinturm und hat viele Ideen für Kooperationen mit Unternehmen. „Hochschule kann ein Ort des Testens sein, wenn man sie ließe“, sagt er. Er plant, einen Alumni-Beirat zu gründen, um mit der Ausbildung noch näher an den Themen der Praxis zu sein. Ab dem kommenden Semester sollen gemeinsam mit Praxispartnern mögliche Themen für Abschlussarbeiten vorgestellt und beworben werden. „Hochschulen brauchen den Praxisbezug“, sagt Bogenstätter.