Flüchtlinge brauchen nicht nur Wohnraum
Die Berliner Wohnungsgesellschaft Gewobag tut viel dafür, dass Flüchtlinge auch auf dem Arbeitsmarkt ankommen. Der Weg ist lang, die Schritte klein: Doch jeder Einzelne, der dafür fit gemacht werden kann, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, ist es wert. Findet die Frau, die das Programm mit Unterstützung ihrer Chefs und vieler Mitarbeiter ins Leben gerufen hat.
Nein, ein Gutmensch ist Martina Heger nicht. Und Lob für das Flüchtlingsprojekt, das sie als Personalleiterin des Berliner Wohnungsunternehmens Gewobag federführend aufgesetzt hat, hört sie auch nicht gern. So ein Lob könnte ja suggerieren, die Gewobag engagiere sich nur deshalb für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen, um sich einen sozialen Anstrich zu geben.
Was voll an der Sache vorbeigehen würde: „Das ist hier kein karitatives Projekt, wir wollen auch etwas davon haben“, sagt Heger streng, als der Autor dieser Zeilen im Gespräch lobende Worte einstreut. „Deshalb nehmen wir nur Menschen mit Bleibeperspektive, in der Praxis also meistens Syrer.“
Außerdem – und diese Feststellung liegt Heger sehr am Herzen – ist das Flüchtlingsprojekt, das sie vor zwei Jahren angestoßen hat und für das eine neue Stelle in der Personalabteilung geschaffen wurde, nur ein Mosaiksteinchen in einem großen Gesamtbild: „Als kommunales Unternehmen haben wir eine Verantwortung für unsere Stadt. Dass wir diese wahrnehmen, erwartet auch unser Gesellschafter: Nicht umsonst haben 30% unserer Azubis einen Migrationshintergrund.“ Weil ja auch viele Mieter in den rund 60.000 Gewobag-Wohnungen mindestens ein nicht-deutsches Elternteil haben, sucht das Wohnungsunternehmen bei der Besetzung seiner Ausbildungsstellen ganz gezielt nach Nachwuchskräften mit fremdländischen Wurzeln.
Befeuert hat das Engagement der Gewobag die tägliche Konfrontation mit der Flüchtlingskrise: Das Unternehmen sitzt in Moabit – praktisch in Sichtweite zum Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), das 2015 unter dem Flüchtlingsansturm regelrecht zusammenbrach und bundesweit für Schlagzeilen sorgte.
Andererseits will die Gewobag – siehe oben – auch einen gewissen Return on Investment ernten. „Bestimmte Sachbearbeiterstellen sind immer schwieriger zu besetzen“, weiß die Personalchefin. Eben deshalb sucht man gezielt nach Kräften für kaufmännische Jobs. Leute also, die das Potenzial für eine Tätigkeit als bzw. Ausbildung zum/zur Immobilienkaufmann/-frau mitbringen. Gesucht sind auch Architekten oder Bauingenieure – aber, daraus macht Martina Heger keinen Hehl, die sind unter den Geflüchteten eher dünn gesät.
Doch selbst wenn jemand eine gewisse fachliche Eignung mitbringt: Ehe er oder sie für einen deutschen Arbeitgeber ein echter Gewinn ist, braucht es viel Zeit und Spucke. Und trotzdem ist das kein Grund, es nicht wenigstens zu versuchen, findet Heger: „Wenn jedes Unternehmen nur einen einzigen Flüchtling einstellen würde, wäre schon viel getan.“ Heger spricht diesen Satz mit einiger Verwunderung, ja Überraschung aus.
Als ob es nicht wahr sein könne, dass die meisten Unternehmen nicht mal diese Latte überspringen: einen einzigen Flüchtling in Arbeit bringen. Oder wenn doch, dann nur als Hilfsarbeiter: „Geflüchtete Menschen werden oft nur verhausmeistert oder als Putzkräfte angestellt“, kritisiert Heger. „Und selbst Konzerne, die Qualifizierungsmaßnahmen durchführen, tun das nicht immer sehr arbeitsmarktorientiert. Nur ein kleiner Teil der Teilnehmer bekommt hinterher auch ein Jobangebot.“ Womit der Anspruch, den die Gewobag an ihr eigenes Qualifizierungsprogramm erhebt, ex negativo skizziert wäre.
Dabei weiß die Personalchefin der Gewobag natürlich allzu gut, wie mühselig es ist, auch nur einen einzigen Flüchtling – Heger selbst spricht übrigens konsequent von „geflüchteten Menschen“, weil das nicht so abschätzig klinge – auch nur einen einzigen Geflüchteten also fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen.
Darum findet sie auch die Frage, um wie viele Menschen es bei dem Pilotprojekt der Gewobag überhaupt geht, irgendwie ziemlich daneben. Ringt sich dann aber doch dazu durch, eine Zahl zu nennen: „Unser Ziel ist, dass wir auf allen Stufen unserer Ausbildungspyramide zusammen immer bis zu zehn Geflüchtete haben.“ Zurzeit sind es vier: ein Festangestellter, ein Trainee, jemand, der ausbildungsreif gemacht werden soll, und ein Praktikant.
Besagte Ausbildungspyramide hat die Personalabteilung der Gewobag eigens für ihr Integrationsprojekt erdacht. Diese beginnt mit einem Infotag zu Berufsbildern – „Unter einem Immobilienkaufmann verstehen viele Geflüchtete einen Makler.“ – und zur deutschen Besonderheit der dualen Ausbildung. Auf der zweiten Stufe folgt ein ein- bis vierwöchiges Schnupperpraktikum.
Ernst wird es mit dem nächsten Schritt: einer sogenannten Einstiegsqualifizierung (EQ), die sich über sechs bis zwölf Monate erstreckt. Dabei passen die Instrumente, die der Staat vorsieht, oft nur mehr schlecht als recht für die Arbeitsmarktintegration speziell von Flüchtlingen. Das Einstiegsqualifizierungsprogramm, mit dem Flüchtlinge die Ausbildungsreife erlangen sollen, „ist eigentlich für Schulabbrecher und Lernentwöhnte gedacht – eben für Menschen mit einer gebrochenen Berufsbiografie“.
Als EQ-Praktikanten verdienen, so wie es ver.di empfiehlt, Flüchtlinge 500 Euro im Monat bei der Gewobag. „Das ist weniger als im ersten Lehrjahr. Da verdienen Azubis 870 Euro. Wir mussten schließlich die Verhältnismäßigkeit wahren“, erklärt Heger. Wer sich im EQ-Programm als lernfähig beweist, kann am Auswahlverfahren für eine Ausbildung zum/zur Immokaufmann/-frau bzw. zum/zur Kaufmann/-frau für Büromanagement teilnehmen.
Ganz wichtig bei alledem: beständig an den Sprachkenntnissen, dem A und O einer gelingenden Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt, zu feilen. Sodann: den Geflüchteten die – langfristigen! – Vorzüge des dualen Ausbildungssystems beizubringen. „Mit Schwarzarbeit ist anfangs mehr zu verdienen. Unser Ausbildungssystem gibt es ja nirgendwo sonst auf der Welt, und von Schleppern und in sozialen Medien werden den Geflüchteten andere Dinge versprochen. Es kam schon vor, dass einer im Vorstellungsgespräch nach einem Dienstwagen fragte.“
Azubis mit Einwanderungsgeschichte begleiten die Flüchtlinge durch das Schnupperstudium. Paten und Mentoren – mit und ohne Migrationshintergrund – stehen ihnen im EQ-Praktikum und später in einer möglichen Ausbildung zur Seite. Über 40 Mitarbeiter haben nach einem Aufruf ihre unentgeltliche Unterstützung angeboten. Im Moment wird das Programm gerade evaluiert: „Rund 35% unserer 600 Mitarbeiter sagen, sie würden sich künftig gern einbringen.“
Dass die Mitarbeiter Verantwortung übernehmen, ist auch deshalb wichtig, weil nicht jeder, der sinnvollerweise ein EQ-Jahr durchlaufen sollte, das auch darf: Wer nämlich bereits in seinem Heimatland ein Studium oder eine Ausbildung absolviert hat, kann – wenn der Studien- oder Berufsabschluss auch anerkannt worden ist – an so einem Programm nicht mehr teilnehmen. Selbst wenn er aus Syrien kommt, in einem ganz anderen Schulsystem groß geworden ist und nur gebrochen Deutsch spricht.
So kommt es, dass die Gewobag beispielsweise einem syrischen Bauingenieur keine Einstiegsqualifizierung angedeihen lassen konnte, sondern ihn als Trainee einstellen musste, obwohl der junge Mann diese Rolle eigentlich nicht ausfüllen kann: „Das syrische Schulsystem ist nur auf Auswendiglernen und Repetieren ausgerichtet. Man lernt dort nicht zu lernen. Das müssen wir den jungen Leuten erst beibringen.“ Dem Bauingenieur aus Syrien hat Heger darum ein Berichtsheft in die Hand gedrückt, wie sie das sonst mit Azubis macht. In puncto Bezahlung wurde der Trainee im Tarifvertrag für die Wohnungswirtschaft eingruppiert.
Für das EQ-Programm ebenfalls vermeintlich überqualifiziert war ein junger Syrer, der einen „Bachelor“-Abschluss in „Accounting and Finance“ vorweisen kann – was jedoch nicht mit dem gleichnamigen Abschluss hierzulande zu verwechseln ist: „Der junge Mann hat kein Studium absolviert, sondern nur eine zweijährige Ausbildung.“ Heger hat ihm ein Praktikum in der Abteilung Rechnungswesen verschafft. Später arbeitete er halbtags als Aushilfe im Rechnungswesen und besuchte einen weiteren Sprachkurs. Heute macht Moussa Sheikh Akriem, wie der junge Mann heißt, in einem Tochterunternehmen der Gewobag die Abrechnungen.
Der Kontakt zu dem Buchhalter kam über die Sprachschule zustande. Ein guter Integrationskurs beinhaltet nämlich – was jedoch gesetzlich nicht vorgeschrieben ist – auch ein vierwöchiges Praktikum. Berliner Sprachschulen schlagen dem Unternehmen mittlerweile öfter Kandidaten vor: „Das ist inzwischen unsere beste Quelle.“ Einer der größten Hemmschuhe war nämlich zu Anfang, überhaupt an geeignete Kandidaten zu kommen.
Die einzige Quelle sind Sprachschulen nicht: Die Gewobag streckte auf der Berliner Jobmesse für Flüchtlinge selbst die Fühler nach Fachkräften aus – „und das hat auch was gebracht. Wir waren übrigens eins von nur zwei kommunalen Wohnungsunternehmen – und das einzige, bei dem das Messeteam auch die Sprache der Besucher sprach.“
Die Gewobag möchte die Erfahrungen, die sie in den letzten zwei Jahren gesammelt hat, weiterreichen: „Ich gehe mit unserem Projekt hausieren“, sagt Heger und verweist auf ihren vollen Terminkalender. Ein solches Konzept zu entwerfen, sei schwierig; nicht zuletzt, weil der Teufel oft im asyl- und arbeitsrechlichen Detail steckt. So ein Konzept jedoch in Grundzügen zu übernehmen, sei deutlich einfacher. Die kommunalen Schwestergesellschaften, bedauert Heger, wollten etwas Vergleichbares trotzdem lieber in Eigenregie aufsetzen.