"Man muss Chef sein wollen"
Marcus Lemli ist die treue Seele der unsteten, wechselwilligen Maklerbranche. Im vergangenen Vierteljahrhundert hat der 50-Jährige praktisch nur für zwei Häuser gearbeitet: JLL und Savills. Die deutsche Savills-Truppe rückte unter Lemli in die Gewinnzone. Einen Fanclub würden seine Leute deswegen – trotz allem Respekt – aber nicht für ihn gründen.
Ein repräsentatives Büro hat Lemli nicht, der Chef sitzt mit seinen Untergebenen in Frankfurt in einem Großraumbüro. Nicht, damit er seine Leute besser kontrollieren kann, sondern weil er „immer für alle ansprechbar“ sein wolle. Als Primus inter Pares im Open Space mag Lemli sich beim Fotoshooting aber nicht ablichten lassen – das verlegt er lieber in einen Besprechungsraum. Auf dem Weg entdeckt er in einem verlassenen Winkel ein paar der knallgelben Savills-Würfel und beschließt: Die müssen mit aufs Bild! Entschlossen schnappt er sich ein Sitzmöbel und auch seine PR-Dame muss anpacken. Im Besprechungsraum angekommen, stapelt Lemli die Würfel, lehnt sich locker an den wackligen Turm – und fühlt sich sichtlich unwohl. Nun probiert er die sitzende Variante aus. Ein wenig ungelenk drapiert er sich auf dem Kubus. Gar nicht so einfach, entspannt und zugleich würdevoll auf so einem Würfel zu sitzen, muss Lemli feststellen und kommt ins Grübeln, ob das hier das richtige Setting ist. Schnell auf den Auslöser gedrückt, bevor der Mann es sich anders überlegt.
Seit sieben Jahren schon ist Lemli Deutschlandchef von Savills. Das muss jemand in einem britischen Maklerkonzern erst einmal schaffen. Im Lichte der Lebensläufe vieler Makler, witzelt ein Savills-Mann, wirke Lemli „fast schon monogam“.
Nicht, dass er keinen Sinn für Karriere hätte. Auf Anraten seines ehemaligen Chefs bei Jones Lang Wootton (heute JLL), der gerade selbst zum Europachef befördert worden war, ging Lemli Ende der 1990er nach Spanien. „It wouldn’t be a disadvantage to go abroad“, überzeugte ihn Robert Orr damals. Dabei war Lemli nicht mal der Landessprache mächtig. Das ist inzwischen anders, heute verbringt Lemli viel Zeit in Spanien, mit seiner Frau, die er während seiner Jahre in Madrid kennenlernte. In ihrem Heimatort besitzen die beiden ein Haus.
Eigentlich war Lemli fürs Modebusiness bestimmt. Seine Großeltern betrieben ein Bekleidungsgeschäft in Frankfurt-Sachsenhausen. Lemli studierte BWL und trat nach dem Studium in den Familienbetrieb ein. Doch schon nach zwei Jahren war Schluss. Lemli sattelte auf Immobilienmakler um.
Bei JLL fing er in der Frankfurter Logistikflächenabteilung an. Nebenbei packte er an der EBS den Immobilienökonomen drauf. Schnell arbeitete er sich zu Orrs Assistenten hoch. In Spanien angekommen ließ die nächste Gelegenheit nicht lange auf sich warten: Knall auf Fall machte sich der Investmentchef von JLL in Madrid aus dem Staub – und Lemli sprang in die Bresche. „Man muss schon Chef sein wollen“, findet er.
Nach fünf Jahren bei JLL in Madrid versuchte sich Lemli auf Kundenseite. Mehr als ein Ausflug wurde aus diesem Kapitel seiner Vita jedoch nicht (siehe „Lemlis Laufbahn“): Nur ein Jahr später trat Lemli in die Dienste von Savills – um kurz darauf für JLL nach Deutschland zurückzukehren. Bei JLL übernahm er als Head of Leasing and Capital Markets Germany und Mitglied des Management Boards erstmals auch Verantwortung für einen Bereich außerhalb des Investmentgeschäfts.
Als bei Savills 2012 der Posten des Head of Investment Europe frei wurde, fackelte Lemli nicht lange. „Warum gehst du zu einem kleineren Unternehmen? Jetzt läuft’s doch gerade super“, fragten ihn seine JLL-Kollegen. Doch Lemli, so sagt er, habe die Herausforderung gelockt, das Investmentgeschäft von Savills in Kontinentaleuropa auszubauen. Und der Stuhl des damaligen Deutschlandchefs von Savills wackelte ja auch schon, erinnert sich ein Insider. Ein halbes Jahr später hatte Lemli den Zweitjob.
Unter dem CEO Marcus Lemli ist Savills in Deutschland nach Jahren der Verluste in die Gewinnzone vorgestoßen und schreibt seit 2014 schwarze Zahlen, der Umsatz im Investmentgeschäft hat sich fast verzehnfacht. Im Markt gilt Lemli als „grandioser Analytiker und guter Investmentbroker“. Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gab schon mal schwerere Zeiten für Maklerhäuser, schwarze Zahlen zu schreiben. Kritiker fragen, welchen Anteil Lemli an der Entwicklung hatte – und welchen die extrem günstige Marktsituation.
Hinzu kommt, dass diese Entwicklung nicht etwa ausschließlich nach oben zeigt. So brachen die Umsatzerlöse im Investmentbereich 2017 um mehr als ein Drittel ein – um im Folgejahr allerdings um gut drei Viertel wieder in die Höhe zu schnellen. Lemli erklärt das so: Als er Anfang 2017 die operative Verantwortung für das Investmentgeschäft vom scheidenden Andreas Wende übernahm, habe er Änderungen vorgenommen, die erst 2018 gegriffen hätten. So seien z.B. Niederlassungen in Berlin und Hamburg restrukturiert und ein zentrales Investmentteam zur Unterstützung der lokalen Einheiten etabliert worden.
Zu seinem Amtsantritt fand Lemli zu viele Direktoren vor, „die sich nicht auf den Teamerfolg konzentrierten. Aus dem Gemeinsamen wurden nicht viele Vorteile generiert, das Geschäft drehte sich sehr um einzelne Personen.“ Lemli stellte neue Spielregeln auf. „Das hat nicht jedem gefallen. Manche Leute haben sich darin nicht mehr wiedergefunden und sind dann auch gegangen. Auch ein paar Führungspositionen wurden neu besetzt, zum Teil mit Externen.“ Insgesamt verabschiedete jeder Vierte von damals rund 140 Mitarbeitern in den ersten zwölf Monaten von Lemlis Amtszeit, teils auf seinen „Vorschlag“ hin. Rund 60 neue Leute holte er im ersten Jahr rein. Im Marketing oder im Personalbereich setzte er den Rotstift an: „Der Overhead war zu groß für unser Businessvolumen.“
„Die Aufgabe ist nicht: Wie werde ich der beliebteste Chef?“
„Die Aufgabe war doch nicht: Wie werde ich der beliebteste Chef? Sondern: Wie baue ich nachhaltiges Geschäft auf?“, sagt der CEO im Rückblick. „Mein Job ist es, ein funktionierendes Ganzes zu schaffen, und ob das gelingt, hängt nicht von Freundschaften ab. Jeder weiß, dass die letzte Entscheidung bei mir liegt.“ Lemli hat kein Problem damit, respektiert, aber nicht geliebt zu werden. Und manchmal ist es schließlich schon schwer genug, sich den nötigen Respekt zu verschaffen. Lemlis Vorgänger Uwe Willer hielt sich nur gut zwei Jahre auf seinem Stuhl. Es heißt, er sei von anderen Geschäftsführern – und davon hatte Savills Germany seinerzeit eine Menge – „geköpft“ worden.
Lemli „legt Wert auf interne Kommunikation und er versucht, sein Team bei strategischen Entscheidungen abzuholen und mitzunehmen“, erinnert sich eine Ex-Kollegin. Ein Vermietungsmakler von Savills findet gut an Lemli, dass er seine Leute nach ihrer Meinung fragt und Diskussionen zulässt, „aber Themen nicht zerredet“.
Reden ist nicht die ganz große Stärke des Marcus Lemli: „Manchmal denkt man sich schon, das hätte man jetzt auch einfacher formulieren können: Subjekt, Prädikat, Objekt“, grinst ein anderer Savills-Makler. Lemli wägt seine Worte stets genau ab, doch mitunter kommen dabei Sätze heraus, die kompliziert gebaut sind und ein wenig phrasenhaft wirken – und am Ende alles und nichts bedeuten können. Sein Verständnis von Führung bringt er etwa so zum Ausdruck: „Es geht nicht darum, klare Ansagen zu machen, sondern darum, Erwartungshaltungen zu formulieren, Leitplanken zu setzen und die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter zu schaffen, um ihre individuellen Potenziale zu fördern und erfolgreich einzusetzen.“
„Ein Jürgen Klopp ist er nicht, eher schon ein Ottmar Hitzfeld“
Als „brutal kompliziert“ beschreibt eine frühere Führungskraft von Savills ihren Ex-Chef. Ein anderer ehemaliger Kollege mit Leitungsfunktion erinnert sich: „Lemli trägt sein Herz nicht auf der Zunge. Mit ihm ist man nicht gleich auf einer persönlichen Ebene.“ Der Investmentmakler wählt einen Vergleich aus dem Fußball: „Ein Jürgen Klopp ist er nicht, eher schon ein Ottmar Hitzfeld.“ Der Fußballlehrer Klopp gilt als energiegeladenes Motivationsgenie, der Trainer Hitzfeld als bedachter Stratege. „Die emotionale Schiene nutzt sich schnell ab. Andere Chefs schießen aus der Hüfte und brechen dann bei der nächsten Gelegenheit unter Druck zusammen“, sagt der Investmentbroker. „Da ist mir einer wie Lemli lieber, der mehr über die sachliche Ebene kommt – auch wenn ich keinen Lemli-Fanclub gründen würde.“
Ein Vermietungsmakler lobt: „Marcus genießt sehr viel Respekt, das ist die Basis für Erfolg. Er trifft keine Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Bei ihm sind die Fakten im Vordergrund.“ Der Kollege aus der Investmentabteilung erzählt: „Als mir ein Sachverhalt durchrutschte, hat Lemli das sehr sachlich aufgenommen. Er hat gefragt: Okay, wie kriegen wir die Kuh vom Eis? Er hätte mir dafür stattdessen auch die Ohren langziehen können.“ Selbst wenn er allen Grund hätte, sich aufzuregen, konzentriert sich Lemli lieber auf die Lösung von Problemen.
Wenn es sein muss, wird Lemli auch mal erzieherisch tätig. Auf einem Betriebsausflug hält er einen jungen Kollegen an. Der muskulös wirkende Youngster trägt einer Officemanagerin das Weinglas hinterher – während sie, die das Event organisiert hat, die Savills-Utensilien zum Bus zurückschleppt. Halb im Spaß, aber mit einem Fünkchen Ernst nimmt Lemli dem Jungspund die Gläser ab und drückt ihm das Gepäck der Kollegin in die Hände: „Ich zeige dir jetzt, wie man das macht.“ Das Lachen des jungen Mannes gefriert, er wird rot im Gesicht: „Ich habe ihr doch angeboten, die Sachen zu tragen! Hast du jetzt wirklich geglaubt, dass ich …?“
Wenn Marcus Lemli einmal nicht mehr arbeitet, wollen er und seine Frau für immer in den Süden nach Spanien ziehen. Aber erst, wenn seine beiden Söhne aus dem Haus sind. Mit ihnen spielt Lemli gerne Fußball oder begleitet sie ins Stadion, zu Eintracht Frankfurt. So viel Sport, wie es seine drahtige Figur vermuten ließe, treibt er selbst allerdings nicht. Nur ab und an kickt er noch, alte Herren – aber immer, typisch Lemli, mit Bedacht: „Die letzten 20 Zentimeter wird nicht mehr voll durchgezogen.“