Immobilienbewerter - der Fachwissen-Mix macht's
Eine Ausbildung oder ein spezifisches Erststudium zum Immobilienbewerter gibt es nicht. Gefragt ist ein Mix aus wirtschaftlichem, technischem und bestenfalls auch rechtlichem Fachwissen. Wer sich diese drei Komponenten zu eigen macht und dazu noch eine Portion logisches Denken sowie ein Faible für Zahlen mitbringt, hat beste Aussichten auf einen abwechslungsreichen und gut bezahlten Job mit Karrierepotenzial.
Sachverständiger oder Gutachter zu sein – für viele ein echter Traumberuf. Schließlich bringt allein schon die Bezeichnung verlockende Eigenschaften mit sich: Ein Gutachter steht für Objektivität, für ein hohes Maß an Fachkompetenz und Sachverstand sowie Ausdrucksfähigkeit, selbst fachfremde Kompetenzen werden ihm zugesprochen. „Wer den Titel Sachverständiger trägt, der muss auch sachverständig sein“, so die landläufige Meinung. Dass das nicht immer so ist, weiß Bernhard Bischoff, Vize-Präsident des Bundesverbands der öffentlich bestellten und vereidigten sowie zertifizierten Sachverständigen (BVS). „Die Berufsbezeichnung des Sachverständigen ist gesetzlich nicht geschützt. Das bedeutet, dass sich grundsätzlich jeder als Sachverständiger für die Grundstückswertermittlung bezeichnen kann“, erläutert Bischoff und fügt hinzu: „und davon gibt es unendlich viele.“
Seit gefühlten 100 Jahren gebe es Bemühungen, den Beruf des Grundstückssachverständigen gesetzlich zu normieren. Geglückt ist es bis dato nicht, und wird es wohl auch nicht mehr, glaubt man Bischoff: „Das dafür notwendige Querschnittswissen ist einfach zu groß. Der Wertermittler ist kein Beruf, sondern eher eine Berufung.“ Die Konsequenz bringt Andreas Borutta, Geschäftsführer bei NAI apollo valuation advisory, auf den Punkt: „Da es den Ausbildungsberuf des Bewerters nicht gibt, sind im Grunde fast alle Bewerter Quereinsteiger.“
Wie aber wird man nun Immobilienbewerter, ohne sich den Titel Sachverständiger einfach so anzuheften und Kompetenzen vorzugaukeln? Die Antwort: Viele Wege führen nach Rom. Thomas Bühren von der Deutschen Immobilien Akademie (DIA) in Freiburg teilt die zahlreichen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in drei Kategorien ein: Erstens Kurzlehrgänge bzw. Kurse (ein bis sieben Tage) für bereits vorgebildete Immobilienfachleute, um den grundsätzlichen Umgang mit Wertermittlungen zu erlernen. Zweitens Lehrgänge mit 100 bis 200 Unterrichtsstunden, die auf eine Tätigkeit als Sachverständiger vorbereiten. Und drittens Weiterbildungen und Studiengänge mit einer zwei- bis dreijährigen Dauer, die nach erfolgreichem Abschluss die Grundlage für eine öffentliche Bestellung bzw. Zertifizierung schaffen.
Zertifizierung als Qualitätssiegel
Mit der Zertifizierung und der mit ihr fachlich gleichgestellten öffentlichen Bestellung und Vereidigung erlangen Grundstückssachverständige einen anerkannten Titel, mit dem sie ihre Qualifikation nach außen dokumentieren können. Für viele Arbeit- und Auftraggeber ist zumindest eine dieser beiden Auszeichnungen obligatorisch. So verlangen beispielsweise Kreditinstitute in aller Regel eine Zertifizierung durch die HypZert. Das ist eine von Hypothekenbanken gegründete und speziell auf die finanzwirtschaftlichen Belange ausgerichtete Zertifizierungs- und Weiterbildungsstätte. Wer für deutsche Kapitalanlagegesellschaften große Gewerbeimmobilien bewerten möchte, muss in vielen Fällen durch die Industrie- und Handelskammer öffentlich bestellt und vereidigt sein. Auch die Mitgliedschaft in einem der Berufsverbände, wie der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) oder dem Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen (BIIS), die bereits eine entsprechende Qualifikation voraussetzt, hilft bei der Auftragsakquise. Wer bei international tätigen Bewertungsgesellschaften wiederum Immobilienwertgutachten erstellen will, braucht nach Meinung von Borutta hingegen keine öffentliche Bestellung und Vereidigung vorzuweisen: „Der Zusatz ö.b.u.v. ist eher für regional tätige Sachverständige ein Qualitätsmerkmal.“
Zertifizierung und öffentliche Bestellung sind aber nur das i-Tüpfelchen, quasi der letzte Schritt auf dem Weg zum Sachverständigenstatus. Zuvor geht es darum, die Basis zu legen, also sich das theoretische Grundwissen anzueignen. Das kann mit einem wirtschaftswissenschaftlichen und/oder einem technischen Studium erfolgen. Für BVS-Vize Bischoff ist die Rangfolge klar: Erst die Technik, dann die Wirtschaft. „Als Techniker ist es einfacher, das Wirtschaftliche zu begreifen, als andersherum“, glaubt er zu wissen. Bischoff ist Diplom-Ingenieur und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken.
Genauso sieht das BIIS-Geschäftsführer Gernot Archner. Ihm scheint vom Profil her der deutsche Diplom-Ingenieur, also Bauingenieur oder Architekt, mit einer kaufmännischen Zusatzausbildung oder gar mit Doppelstudium (Kaufmann bzw. Volkswirt) die ideale Basis zu haben. „Jedem jungen Bewerter würde ich dies als Königsweg empfehlen, auch wenn es sich zugegebenermaßen um einen sehr harten Weg handelt“, so Archner. Zumindest bei der DIA sind es aber nach Erfahrung von Thomas Bühren im Wesentlichen kaufmännisch vorgebildete Studenten, die die Qualifikation zum Sachverständigen anstreben. Rund ein Fünftel der Teilnehmer seien technisch vorgebildet.
Eines dürfe laut Bischoff bei der Diskussion, ob nun erst das Technische und dann das Wirtschaftliche oder doch lieber beides gleichzeitig, aber nicht zu kurz kommen: das Rechtliche. „Das wird bei vielen vergessen“, mahnt er und hebt plakativ die Bedeutung des Planungsrechts für die Bewertung von Immobilien hervor. Wir halten fest: Ein fachkundiger Bewerter braucht sowohl technischen, wirtschaftlichen als auch rechtlichen Sachverstand.
Praxiserfahrung wichtig
Sind diese Grundlagen gelegt, fehlt nur noch eines: die Praxis. Schließlich, so Gerrit Leopoldsberger, der neben seiner gutachterlichen Tätigkeit als Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen unterrichtet, sei die Theorie, die in den diversen Ausbildungsgängen vermittelt wird, zwar ein gutes Rüstzeug. „Am Ende benötigt der Bewerter aber vor allem Markterfahrung. Und die lässt sich nun mal nicht zertifizieren.“
Die praktischen Erfahrungen beziehen sich klassischerweise sowohl auf die jeweiligen Immobilienmärkte als auch auf die verschiedenen Objektarten und deren Besonderheiten. Nicht umsonst gibt es zumindest bei den Zertifizierungsstellen unterschiedliche Einstufungen, z.B. für die Marktwertermittlung von Wohn-, Gewerbe- oder Spezialimmobilien oder wie bei HypZert für das Markt- und Objektrating, also die Chancen- und Risikoeinschätzung von Märkten und Immobilien.
Viele Einsatzmöglichkeiten
Andreas Borutta hält darüber hinaus auch praktische Erfahrungen aus anderen immobilienwirtschaftlichen Tätigkeiten wie der Vermietung, Verwaltung oder Entwicklung von Immobilien für förderlich: „Dadurch wird der Bewerter in die Lage versetzt, Zusammenhänge zu erkennen und zu beurteilen, welche Chancen und Risiken bei einem Objekt auftreten können und wie sich diese auf den Wert auswirken“, sagt er.
Hat man nun den mitunter harten und aufwendigen Weg zum geprüften Immobiliengutachter erfolgreich absolviert, stehen im Prinzip alle Türen offen. Ob als selbstständiger Sachverständiger, als Angestellter einer Bank oder einer Versicherung, bei einem Immobilienberater, Bestandshalter, Investor oder einem Wirtschaftsprüfer – die Karrieremöglichkeiten sind vielfältig. „Das Arbeitgeberspektrum reicht vom Ein-Mann-Büro bis zum multinationalen Konzern“, so Leopoldsberger. Selbst für „Anfänger“ – Engagement und Qualifikation vorausgesetzt – sehen die Aufstiegschancen Borutta zufolge derzeit gut aus. Explizit nennt er die Banken, bei denen sich mit zunehmender Erholung des Markts und steigendem Neugeschäft der Bedarf an qualifizierten Bewertern erhöhen wird. Bei dem Traum vom Gutachterdasein muss es also nicht bleiben. (nik)