Den Bachelor nicht schlechtreden
1999 wurde mit der Bologna-Erklärung der Aufbau eines Europäischen Hochschulraums beschlossen – und damit eine der größten Veränderungen im deutschen Hochschulsystem eingeläutet: die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge. Doch gerade der Bachelor steht immer wieder in der Diskussion und wird häufig als unvollendet kritisiert. Es ist höchste Zeit, dass Hochschullehrer diesem Vorurteil entgegentreten, fordert Kerry-U. Brauer, Professorin für Immobilienwirtschaft an der Berufsakademie Sachsen in Leipzig.
Immobilien Zeitung: Frau Prof. Brauer, Sie haben Ihren immobilienwirtschaftlichen Diplomstudiengang vor vier Jahren auf den Bachelor umgestellt. Inzwischen führen mehr als 80% der Studiengänge in Deutschland auf die beiden neuen Abschlüsse Bachelor und Master hin. Die Umsetzungsquote klingt eigentlich nicht schlecht. Welche Missstände sehen Sie dennoch im gegenwärtigen System?
Kerry-U. Brauer: In dem neuen zweistufigen Studiensystem müssen die Studiengänge jetzt stärker berufsorientiert ausgerichtet werden als früher. Der Bachelor bildet den ersten berufsbefähigenden Hochschulabschluss. Es stellt sich damit die Frage, wie die Hochschulen diesen Auftrag effizient umsetzen können. In Deutschland wurde die Umstellung häufig so vorgenommen, dass die Spezialisierungen der alten Diplomstudiengänge in den Bachelor übernommen wurden, dass versucht wurde, Grundlagenwissen zu vermitteln, aber zu wenig analysiert wurde, welche konkreten Befähigungen ein Absolvent haben muss, um mit diesem Abschluss erfolgreich in der Wirtschaft agieren zu können.
IZ: Und das führt dazu, dass die Bachelorabschlüsse immer wieder in die Kritik geraten?
Brauer: Ja. In der allgemeinen Diskussion wurde der Bachelor-Abschluss von vorneherein abgewertet. Große Teile der Gesellschaft und auch viele Hochschullehrer haben immer noch das alte System der Diplom-Studiengänge verinnerlicht. Daran hat die breite Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse bislang wenig geändert. Ich halte es für unverantwortlich, wenn zwölf Jahre nach Beschluss der Bologna-Reform immer noch zahlreiche Hochschullehrer den Bachelor-Abschluss öffentlich schlechtreden. Es ist falsch, den Studenten schon in der Einführungswoche zu erzählen, dass sie mit einem Bachelor-Abschluss keinen Job bekommen!
IZ: Zumal sie sehr wohl vom Arbeitsmarkt aufgenommen werden, wie eine aktuelle Studie des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft zeigt. Bachelorabsolventen werden in 65% der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern beschäftigt, und zwar oft zu ähnlichen Einstiegsgehältern wie Masterabsolventen.
Brauer: Richtig. Deswegen ist die ablehnende Haltung einiger Hochschullehrer nicht zu verstehen. Sie schädigen nicht nur den Ruf des Bildungssystems in Deutschland, sondern stellen sich damit auch für ihre eigene Arbeit ein Armutszeugnis aus.
Hochschullehrer nicht begeistert
IZ: Woher rühren diese Vorbehalte?
Brauer: Vom Bologna-Prozess ist im Hochschulwesen keiner begeistert gewesen. Die Umstellung auf das zweistufige System war eine politische Entscheidung und die Hochschullehrer wurden nicht gefragt. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass das Bachelor-Master-System international bewiesen hat, dass es funktioniert. Das Problem ist, es ist ein anderes System als unser bisheriges.
IZ: Der Reformprozess lässt sich nicht mehr umdrehen. Was muss Ihrer Meinung nach also geschehen?
Brauer: Die Überlegung an den Hochschulen muss sein: Wie kann ein Bachelor-Studiengang aufgebaut sein, damit er für den Direkteinstieg ins Berufsleben qualifiziert? Was braucht der Absolvent z.B. an wirtschaftswissenschaftlichem Wissen, um nach rund drei Jahren Studium in einem Unternehmen bestehen zu können? Bislang sind noch viele Bachelor-Studiengänge wie ein Grundlagenstudium für den Master konzipiert und die berufsbezogenen Inhalte sind hinten runtergefallen. Das ist meiner Ansicht nach auch einer der Hauptgründe für die Klagen und die Kritik.
IZ: Kritik kommt nicht nur aus den Hochschulen, sondern auch von Personalverantwortlichen und Unternehmenslenkern. Sie haben mit der Vielzahl von Abschlüssen und Vertiefungsrichtungen ebenfalls so ihre Schwierigkeiten. Wie könnte dem Arbeitsmarkt vermittelt werden, welche Lehrinhalte sich hinter den verschiedenen Studienangeboten verbergen?
Brauer: Es ist ganz wichtig, den Reformprozess transparenter zu gestalten. Ich sehe eine Bachelorarbeit als erste wissenschaftliche Arbeit an, bei der wissenschaftliche Methoden trainiert werden. Doch tatsächlich gibt es in den Anforderungskatalogen der verschiedenen Hochschulen sehr große Unterschiede. Das beginnt schon bei den Seitenzahlen und hört bei der Vergabe der ECTS-Kreditpunkte für diese Einzelleistung auf. Diese unterschiedliche Gewichtung der Anforderungen müsste transparent gemacht werden.
IZ: Das Diploma-Supplement, in dem Erläuterungen zu den belegten Modulen und ihre Wertigkeit nach ECTS-Kreditpunkten aufgeführt sind, ist Ihrer Meinung nach nicht ausreichend?
Brauer: Das Diploma-Supplement sehe ich eindeutig als Vorteil der neuen Studiengänge gegenüber dem Diplom. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass Hochschullehrer immobilienwirtschaftlicher Studiengänge gemeinsam Mindeststandards für Bachelor- und Masterarbeiten festlegen.
IZ: Wie könnte das in der Praxis umgesetzt werden?
Brauer: In der Immobilienwirtschaft könnte es einen stärkeren Austausch unter den Hochschullehrern geben, beispielsweise unter der Ägide der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (gif). Ich halte es für sehr wichtig, dass es in einem solch überschaubaren Markt wie der Immobilienwirtschaft eine stärkere Rückkoppelung zwischen Personalverantwortlichen und ihren Unternehmen auf der einen Seite sowie den Hochschulen auf der anderen Seite gibt. Welche Anforderungen stellen die Unternehmen und wie bilden die Hochschulen bislang für diesen Markt aus? Diese Kommunikation muss ausgebaut werden. Bei der gif gibt es mit der Hochschullehrerkonferenz bereits eine sehr gute Plattform, doch es fehlt noch die Rückkoppelung mit den Personalern.
Master lockt nicht nur die Besten
IZ: Und wenn die Studenten sich doch lieber für den Master entscheiden?
Brauer: Der Bachelor und der Master haben beide ihre Berechtigung. Wichtig ist, dass der Markt weiß, was sich hinter dem jeweiligen Abschluss verbirgt. Wer noch einen Master draufsattelt und wer nicht, entscheidet schließlich oft auch der Markt. Wenn der starke Bachelor-Absolvent bereits ein gutes Jobangebot bekommt, steigt er direkt in den Beruf ein. Es ist also durchaus nicht so, dass nur die klugen Köpfe länger an der Uni bleiben.
IZ: Frau Prof. Brauer, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sonja Smalian.