Arbeitgeber punkten mit Elternangeboten
Wenn junge Bewerber sich nicht zwischen Familiengründung und Berufseinstieg entscheiden wollen, kann die Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeit ausschlaggebend bei der Wahl des Arbeitgebers sein. Viele Unternehmen lassen ihre Familienfreundlichkeit deshalb regelmäßig überprüfen. In der Immobilienwirtschaft sind es vor allem Wohnungsunternehmen, die sich konkrete Maßnahmen zertifizieren lassen, um beim Nachwuchs zu punkten und bestehende Mitarbeiter an sich zu binden.
Wenn am Gehalt oder Standort nichts zu rütteln ist, müssen Unternehmen andere Vorzüge durch Employer-Branding-Kampagnen betonen, um geeignete Kandidaten als Bewerber gezielt zu sich zu locken und bestehende Mitarbeiter langfristig zu halten. Dass das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf dabei eine große Rolle spielt, beobachtet Oliver Schmitz, Geschäftsführer von Beruf und Familie Service, einer Initiative der gemeinnützigen Hertie Stiftung. Er erzählt, dass Unternehmen gerne ihre Organisation von Elternzeiten hervorheben. Er begründet das Phänomen mit dem Alter der Kandidaten, nach denen viele Arbeitgeber derzeit suchen: „Wenn junge Fachkräfte angeworben werden sollen, brauchen sie diesbezüglich Gewissheit, vor allem, wenn sie direkt von der Hochschule kommen, oder als Young Professionals gelten“, sagt Schmitz. Der Grund: Bei Berufsbildern, die eine lange Ausbildung voraussetzen, fallen der Berufsstart und die Familienplanung häufig zeitlich zusammen. Gerade junge Frauen wollen sich bei der Wahl eines Arbeitgebers dann darauf verlassen können, dass sie nach einem Mutterschutz mit anschließender Elternzeit wieder vollständig in ihre alte Stelle zurückkehren können, ohne Berufserfahrung zu verlieren. Wenn mit dem Employer Branding so auf die Lebensumstände und das Alter der Wunschbewerber abgezielt wird, spricht Schmitz von einer lebensphasenorientierten Unternehmensführung und sieht diesen Ansatz als Pluspunkt für Unternehmen, die sich als gefragte Arbeitgeber positionieren wollen.
Deutschlandweit hat Beruf und Familie Service 2021 mehr als tausend Firmen, Hochschulen und Institutionen im Programm für lebensphasenorientierte Unternehmensführung betreut, rund 25 stammten aus der Immobilienwirtschaft. Bei mehr als drei Viertel von ihnen handelte es sich um Wohnungsgesellschaften. Dass diese besonders stolz auf ihre Elternzeitorganisation sind, hat einen Grund: Bei den meisten von ihnen arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer.
So auch bei der langdeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo in Berlin. Von rund 580 Mitarbeitern sind fast 370 Frauen. 44 von ihnen haben in den vergangenen fünf Jahren eine Elternzeit genommen. Das waren mehr als doppelt so viele wie Männer, die von dem Thema betroffen waren. Zudem zeigen Zahlen des statistischen Bundesamts, dass die meisten Frauen nach einer Geburt eine Pause von zwölf bis 14 Monaten einlegen, während die meisten Männer nur das Minimum von zwei Monaten als Auszeit einplanen. Das bestätigt auch Degewo-Vorständin Sandra Wehrmann mit Blick auf die eigenen Statistiken. „Eine Elternzeit ist für das Unternehmen mit einem gewissen organisatorischen Aufwand verbunden“, weiß sie aus Erfahrung. „Gerade für Führungskräfte stellt sie eine Herausforderung dar, denn sie müssen die Vertretungsregelungen aufstellen.“ Wehrmann lege deshalb großen Wert darauf, dass Führungskräfte für das Thema sensibilisiert werden.
Kinderbetreuung braucht flexible Arbeitszeiten
Aber auch nach dem Wiedereinstieg greife der Nachwuchs bei Frauen stärker in den Berufsalltag ein als bei Männern. Das habe sie besonders während der Corona-Pandemie beobachten können. „Bei uns waren es häufiger Frauen, die das Homeschooling übernommen haben, als Männer“, sagt sie. Schul- und Kitaschließungen haben bei Degewo deutliche Auswirkungen auf den Arbeitsort gezeigt. „Mobiles Arbeiten haben wir schon vor Corona angeboten. Wir haben es an zwei Tagen in der Woche ermöglicht. Es wurde jedoch nur von ca. 65% der Belegschaft wahrgenommen. Die Pandemie hat alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezwungen mobiles Arbeiten auszuprobieren und nunmehr möchten doch viel mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Angebot wahrnehmen“, beschreibt sie die Entwicklung. Bei Mitarbeitern, die zuhause Kinder betreuten, habe sich zudem der Tagesablauf verändert. „Wir haben die Arbeitszeit bis 22 Uhr verlängert. So konnten Mitarbeiter ihren Tag flexibler gestalten und hatten zum Beispiel am Nachmittag die Möglichkeit, längere Pausen einzulegen, um sich um die Kinder zu kümmern“, beschreibt sie. Als Vorständin könne sie sich vorstellen, dieses Angebot in Zukunft noch weiter auszubauen. „Flexibilität von Seiten des Arbeitgebers stärkt die Loyalität und die Motivation der Mitarbeiter.“ Sie verdeutlicht: „Die Zahlen sprechen für sich. Wir haben beispielsweise in der Pandemie eine geringere Krankenquote gehabt, denn wenn es in der Familie mal einen Notfall gibt, können die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst umgestalten.“
Junge Bewerber achten auf Familienfreundlichkeit
Diese Angebote lässt sich Dewego seit 2009 von Beruf und Familie zertifizieren. Externe Berater helfen bei regelmäßigen Besuchen, sogenannten Audits, herauszufinden, welche Maßnahmen im Unternehmen eingeführt oder ausgebaut werden können. Dabei werden auch Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen berücksichtigt und alle festgehaltenen Vorhaben in regelmäßigen Abständen auf ihre Einhaltung überprüft. Gleichzeitig wird das Programm durch Workshops für Führungskräfte begleitet. Wenn alle Vorhaben umgesetzt werden, erhalten die Unternehmen ein Zertifikat. Das Papier lassen sich die Teilnehmer etwas kosten. Für die ersten drei Jahre zahlen Firmen mit bis zu 100 Mitarbeitern 8.000 Euro, bei 501 bis 1.500 Mitarbeitern liegen die Kosten für diesen Zeitraum bei 18.500 Euro. Laut Wehrmann lohnt sich die Investition. „Das Zertifikat und unsere Mitarbeiter-Benefits werden in jeder Stellenanzeige angesprochen. Auch in Bewerbungsgesprächen gehört es von unserer Seite aus dazu, alle Maßnahmen aus dem Bereich familienfreundliches Arbeiten zu erklären.“
Neben den flexiblen Zeiten im Homeoffice bietet Degewo an den Standorten selbst auch Eltern-Kind-Büros an, die im Zertifikat festgehalten sind. Wehrmann spricht dabei von „einem Angebot, das einfach einzurichten ist“, und beschreibt, dass es in den Räumen neben einem üblichen Arbeitsplatz auch Spielecken für Kleinkinder und einen Schreibtisch für Jugendliche gibt, an dem sie am Nachmittag ihre Hausaufgaben machen können. Besonders beliebt sei das Büro nach Schulschluss und werde meist stundenweise über ein Buchungssystem reserviert. Für Eltern biete es eine unkomplizierte Möglichkeit, Lücken in der Nachmittagsbetreuung zu überbrücken, ohne sich freinehmen oder die eigene Arbeit unterbrechen zu müssen. „Es gibt auch viele Mitarbeiter, die das Büro mehr schätzen als den Arbeitsplatz zuhause. Schließlich hat nicht jeder ein voll ausgestattetes Arbeitszimmer. Zudem kann im Eltern-Kind-Büro der Kontakt zu Kollegen gehalten werden und es bietet eine klare räumliche Trennung zwischen Beruf und Privatleben“, ergänzt Wehrmann.
Auch die Wohnstätte Stade bietet ihren Mitarbeitern an, Kinder im Notfall mitzubringen. Dafür stehen ein Still- und Wickelraum bereit. Die Berliner Wohnungsgesellschaft Howoge organisiert als Betreuungsangebot jährlich ein einwöchiges Ferienlager für Mitarbeiterkinder und die WBG Nürnberg hat sich individuelle Teilzeitmodelle zertifizieren lassen, die vor allem von Eltern mit Kindern nach der Geburt gut angenommen werden und ihnen zum Teil einen früheren Wiedereinstieg ermöglichen, wenn das Kind noch keinen Betreuungsplatz hat. Zudem sorgt dort ein spezielles Patenprogramm dafür, dass Mitarbeiter in Elternzeit den Kontakt zum Unternehmen nicht verlieren. Sie werden regelmäßig über alle wichtigen Ereignisse informiert und erhalten Einladungen zu Betriebsveranstaltungen und Schulungen.
Dass diese Konzepte besonders bei jungen Bewerbern gut ankommen, kann Wehrmann bestätigen. „Für Bewerber, die altersbedingt von den Maßnahmen profitieren können – etwa, weil sie Kinder im Betreuungsalter haben –, ist das Zertifikat im Bewerbungsgespräch besonders wichtig“, sagt Wehrmann. Doch auch gegenüber den langjährigen Mitarbeitern fühlt sich Wehrmann durch die regelmäßigen Überprüfungen verpflichtet. „Das Zertifikat dient als Nachschlagewerk für unsere Mitarbeiter. Es zeigt ihnen, was sie in Anspruch nehmen können. Gleichzeitig hilft es uns, unsere Maßnahmen ständig zu überprüfen und zu sehen, ob wir allen Maßnahmen immer noch gerecht werden, ob es Grenzen gibt und wo wir uns noch verbessern können“, spricht sie von langfristiger Mitarbeiterbindung.