"Ich finde den Namen Berufsakademie sehr, sehr unglücklich"
Prof. Dr. Kerry-U. Brauer führt die Staatliche Studienakademie Leipzig der Berufsakademie Sachsen nun als Direktorin und hat nach 18 Jahren die Leitung der Studienrichtung Immobilienwirtschaft an Prof. Dr. Bettina Lange übergeben. Ein Gespräch über die Besonderheiten des dualen Studiums, die künftige Ausrichtung der Studienrichtung und Karrierechancen für Frauen in der Immobilienwirtschaft.
Kerry-U. Brauer: Unsere Zahlen sind stabil geblieben. 1997 haben wir 61 Studenten aufgenommen, 2013 waren es 72. Damit stoßen wir an unsere Kapazitätsgrenze. Deswegen werden wir die Studienrichtung ausbauen.
Bettina Lange: Das duale Studium hat große Vorteile: Das von den Studenten erworbene akademische Wissen kann unmittelbar in der Praxis getestet werden. Beides schult die soziale Kompetenz im Umgang mit Kollegen und Kunden.
Brauer: Die Praxispartner schätzen, dass die Absolventen schon nach sehr kurzer Zeit voll einsatzfähig sind. Große Unternehmen müssen Hochschulabsolventen oft erst ein Traineeship anbieten. Wie effizient ist das?
Lange: Häufig hören wir von unseren rund 130 Praxispartnern, dass sie gern mehr duale Studenten im Studium begleiten würden, aber nicht immer die richtigen Kandidaten finden.
Lange: Einerseits sind die Anforderungen der Praxispartner sehr hoch, andererseits haben die heutigen Gymnasiasten viele Möglichkeiten. Da ist es wichtig, früh und viel zu informieren. Wir organisieren deswegen Tage der offenen Tür und präsentieren uns auf Bildungsmessen.
Brauer: Ich schreibe mich erst einmal ein und schaue dann, ob das Studienfach zu mir passt – diese Methode funktioniert an einer Berufsakademie nicht. Unsere Studenten müssen sich vor dem Studium stärker mit den Inhalten auseinandersetzen, um dann einen Praxispartner von sich zu überzeugen, der mit ihnen einen Vertrag über drei Jahre abschließt. Das ist eine wesentlich größere Hürde, als sich nur an einer Hochschule einzuschreiben.
Lange: Ja. Unsere Abbrecherquote, d.h. die aus persönlichen Gründen das Studium abbrechen, liegt bei unter 1%.
Brauer: So etwas ärgert uns auch. Von der Öffentlichkeit wird den Berufsakademien vorgeworfen, zu wenig Theorie und zu viel Praxis zu vermitteln. Dabei schreiben unsere Studenten Bachelorarbeiten im Umfang von 50 bis 70 Seiten und nicht wenige absolvieren erfolgreich ein Masterstudium an einer Hochschule oder Universität. Außerdem ist der theoretische Studienanteil in Qualität und Quantität adäquat und entspricht anderer Hochschulen, da unsere Studenten keine Semesterferien haben. Ich finde den Namen Berufsakademie sehr, sehr unglücklich. Auch wir streben das Modell einer dualen Hochschule wie in Baden-Württemberg an. Durch diese Weiterentwicklung würde sich der Status der Studenten ändern.
Brauer: Genau. Manchmal ähnelt der Praxisanteil eher einem verlängerten Praktikum. Bei uns ist jedes der sechs Semester in eine dreimonatige Praxisphase im Unternehmen und eine dreimonatige Studienphase an der Berufsakademie geteilt. Beide sind aufeinander abgestimmt, theoretische und praktische Studienmodule miteinander verzahnt. Die Studienrichtung Immobilienwirtschaft gibt es seit 1993. Wir hatten also Zeit, um das Know-how zu erwerben, Praxispartner in die Lehre einzubinden. Ich glaube, das müssen viele andere Anbieter erst noch entwickeln.
Brauer: Natürlich gibt es einen gewissen Wettbewerb um die besten Köpfe. Aus meiner Sicht dominiert aber eher die Vielfalt sowohl für potenzielle Studenten als auch für Unternehmen. Universitäten, Fachhochschulen und die Berufsakademie haben jeweils einen anderen Fokus. Natürlich werden wir an der Berufsakademie keine Grundlagenforschung machen, dafür sind die Universitäten zuständig und diese Arbeitsteilung ist gut. Praxisbezogene angewandte Forschung passt dagegen sehr gut. So bearbeiten wir aktuell zum Beispiel ein Forschungsprojekt im Controlling, das von der IHK unterstützt wird. Solche Engagements werden wir ausbauen.
Brauer: Schon jetzt haben wir Studenten und Praxispartner aus dem ganzen Bundesgebiet. Die Mehrheit der Studenten kommt aber aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.
Brauer: Mit dem Ausbau soll Rechnung getragen werden, dass wir in der Branche gleichermaßen Generalisten benötigen, die das facettenreiche Gebiet der Immobilienwirtschaft überblicken und parallel aber auch über Spezialistenwissen verfügen. So entwickelt sich hier neben den speziellen Managementbereichen in Abhängigkeit der Nutzungsart der Immobilie einerseits der Trend in Richtung Kapitalmarktorientierung, andererseits werden aber auch zunehmend technische Kenntnisse insbesondere im Bereich Energie und Gebäudeausrüstung gefordert.
Brauer: Ehrlich gesagt, eher nicht. Es gibt kaum neue Stellen. Sachsen und auch andere Bundesländer sind dem Sparwahn verfallen und im Hochschulbereich müssen allein in Sachsen ca. 1.200 Stellen abgebaut werden. Ich halte das für eine völlig falsche Politik.
Brauer: Ich glaube, sie haben sich verbessert. Zum einen sind die Kommunikationsanforderungen in der Branche gestiegen, ein eher weiblich besetzter Aufgabenbereich. Zum anderen ist die Immobilienwirtschaft klein- und mittelständisch geprägt. Diese Strukturen bieten für Frauen bessere Entwicklungsmöglichkeiten als Konzerne.
Lange: Wir wollen noch flexibler auf die Anforderungen der Praxispartner und der Studenten eingehen. Dazu besteht die Möglichkeit, innerhalb des Studiengangs Vermögensmanagement Module individuell auszuwählen und damit Finanz-, Steuer- und Controllingkompetenz zu vertiefen. Außerdem soll mehr technisches Fachwissen aus dem Studiengang Service Engineering den Studenten und Praxispartnern zugängig gemacht werden. Geplant ist darüber hinaus, in Kooperation mit anderen Hochschulen einen berufsbegleitenden Master zu entwickeln.
Das Interview führte Sonja Smalian.