"Das geht im Unternehmen jeden etwas an"
ESG-Beratung. Nach vier Jahren intensiver Beschäftigung mit dem Thema ESG entwickelte Manuela Strauß den Wunsch, möglichst vielen Unternehmen zu helfen, eigene Strategien zu entwickeln. Dafür machte sie sich mit Immo ESG selbstständig und versteht sich inzwischen als Mentorin für Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft.
IZ: Wie kamen Sie zum ersten Mal mit dem Thema ESG in Kontakt?
Strauß: Das war 2020 bei HIH. Ich hatte eine hohe eigene Motivation, mich mit dem Thema und der Regulatorik auseinanderzusetzen und das ganze Spektrum auf mein Unternehmen anzuwenden, auch wenn das zunächst eine mühsame Aufgabe war. Mit der Zeit kam mehr Struktur in die Themen, das Projektteam wuchs und wir haben gemeinsam viele ESG-Projekte umgesetzt – von der Bestandsaufnahme der Gebäude bis hin zum umfangreichen Fondsreporting.
IZ: Und so ist Ihre Geschäftsidee für die eigene ESG-Beratung entstanden?
Strauß: Genau. Allerdings sehe ich mich weniger als klassische Beraterin, sondern eher als Mentorin für Nachhaltigkeitsmanager und-managerinnen. Meine Leidenschaft für das Thema wuchs stetig, und ich wollte anderen Unternehmen dabei helfen, einen pragmatischen Einstieg zu finden – wenn möglich, mit dem vorhandenen Personal.
IZ: Wie hat sich die Wahrnehmung von ESG-Themen verändert?
Strauß: Zum ersten Mal aufgetaucht ist der Begriff schon vor 20 Jahren, nämlich 2004 in einem UN-Bericht. Richtig los ging es mit damit in der Immobilienwirtschaft aber erst 2019, als die Offenlegungsverordnung kam. Weil diese auch Immobilienfonds betraf, war die Auseinandersetzung mit ESG spätestens bei ihrem Inkrafttreten 2021 für Akteure der Branche ein Muss. Der Fokus des Begriffs hat sich inzwischen von Fonds auch auf einzelne Gebäude ausgeweitet. Und spätestens seit der Verabschiedung der CSRD ist der Begriff aus der Immobilienwirtschaft gar nicht mehr wegzudenken.
IZ: Eine neue Thematik bedeutet auch neue Zuständigkeiten. Viele Unternehmen haben inzwischen einen ESG-Manager. Was macht diesen aus?
Strauß: ESG-Manager jeden Alters und Geschlechts werden immer noch gesucht. In anderen Branchen gibt es schon länger sogenannte Nachhaltigkeitsmanager, bei uns ging das erst 2020/2021 so richtig los. Die ersten großen Aufgaben waren zunächst das Sammeln von Daten und die erste Umsetzung regulatorischer Vorgaben. Alle wollten wissen: Wo stehen wir mit unserem Portfolio eigentlich? Doch die Aufgaben sind schnell sehr vielfältig geworden, betreffen inzwischen alle Abteilungen in den Unternehmen und reichen von der Strategie über Reportings bis zur Umsetzung von Maßnahmen am Portfolio.
IZ: Was sind die Themen eines ESG-Managers? Worum muss er sich kümmern?
Strauß: Die genauen Themen hängen natürlich vom jeweiligen Unternehmen ab. Aber in der Regel ist der erste Schritt, das unternehmenseigene Verständnis von Nachhaltigkeit und die wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte gemeinsam mit der Geschäftsführung zu definieren. So kann eine Strategie aufgebaut und erste Maßnahmen geplant werden, die dann auch umgesetzt werden müssen. Dafür sind nach und nach Mitarbeitende aus allen Abteilungen notwendig. Sie sollten als Ansprechpartner zur Seite stehen und helfen bei der Integration in bestehende Prozesse und Aufgaben. Wenn wir an soziale Unternehmensthemen denken, sind diese zum Beispiel häufig in der HR angesiedelt. Wenn es ums Bauen mit nachhaltigen Materialien geht, braucht es jemanden in der Projektentwicklung als Sparringspartner.
IZ: Der ESG-Manager muss sich also mehrere Ansprechpartner ins Boot holen?
Strauß: Nur weil es einen ESG-Manager oder -Managerin gibt, heißt das noch lange nicht, dass nur er oder sie sich mit dem Thema beschäftigen muss. Das wäre gar nicht schaffbar. Im Gegenteil: In dieser Rolle arbeitet man eben nicht nur mit der Geschäftsführung zusammen. ESG geht im Unternehmen jeden etwas an. Um im Kollegium mehr Bezug zum Thema herzustellen, macht es Sinn, sie beispielsweise in konkrete Projekte mit einzubinden. Ein guter ESG-Manager ist Koordinator und Projektmanager, trägt die ESG-Themen in die Organisation und hat auch immer ein Ohr nach außen.
IZ: Warum ist letzteres so wichtig?
Strauß: Im Bereich ESG gibt es immer etwas Neues – neue Gesetze, Fristen oder Spezifikationen, neue Lösungsansätze und -anbieter, neue Tools und Erkenntnisse. Und weil alle Immobilienunternehmen betroffen sind, lohnt sich auch der Austausch mit anderen Nachhaltigkeitsmanagern. Allerdings kommen neue Erkenntnisse nicht nur von außen. Bei Bestandshaltern zum Beispiel muss ständig an der eigenen Datenbasis gearbeitet werden und wenn diese wächst, können zusätzliche Erkenntnisse abgeleitet werden. Das Entwickeln einer gebäudespezifischen Strategie und das Umsetzen der Maßnahmen braucht also seine Zeit. Insbesondere bei großen Portfolios ist das nichts, was von heute auf morgen erledigt werden kann.
IZ: Was können erste Schritte sein? Wo sollte man anfangen?
Strauß: Ein kleines Unternehmen, etwa eine klassische Hausverwaltung, könnte mit einem Pilotprojekt starten, indem es sich erst einmal gezielt einem einzigen Gebäude widmet. Die Erkenntnisse lassen sich dann gut auf andere Objekte übertragen. Wenn das Portfolio größer ist, fängt man erst einmal mit den Daten an, die im besten Fall schon systemseitig vorliegen. In der Regel sind das Adressdaten sowie Angaben zu Flächen, Baujahren, Nutzungsarten und die Energieausweise. Allein damit kann man schon eine erste grobe Einschätzung vornehmen. Zur Unterstützung gibt es kostenfreie Excel-Tools oder spezialisierte ESG-Datenplattformen, die helfen, die Gebäude auf dem Dekarbonisierungspfad einzuordnen.
IZ: Fort- und Weiterbildungen gibt es inzwischen viele. Wie kommt es, dass die Umsetzung dennoch oft schleppend läuft?
Strauß: Fachliches zum Thema kann gut vermittelt werden – auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Viele Unternehmen haben schon einen Überblick und vielleicht sogar schon eine Strategie. Doch konkret in die Umsetzung zu gehen, ist oft das Schwere. Es kommen dann Fragen auf, welche Daten konkret benötigt werden und wie die Datensammlung organisiert werden kann, wie man die Fachabteilungen abholt und einbindet oder wie einzelne Punkte der Regulatorik konkret im eigenen Unternehmen anzuwenden sind. Antworten auf diese Fragen können fachliche Weiterbildungen nicht liefern, weil Unternehmen in ihrer Organisation und auch in ihrer Kultur zu unterschiedlich sind.
IZ: Wer sollte unter diesen Gesichtspunkten die Rolle des ESG-Managers einnehmen? Ein bestehender Mitarbeiter, der das Unternehmen gut kennt, oder ein externer mit frischem Blick?
Strauß: Wenn es im Unternehmen jemanden gibt, der gute Softskills und von sich aus eine Affinität für das Thema hat, ist das die perfekte Basis. Aber wenn schneller fachlicher Input gefragt ist, kann es sinnvoll sein, jemanden von außen zu holen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn es gibt nur wenige erfahrene ESG-Manager und -managerinnen in der Branche und die vielen Beratungsunternehmen sind zurzeit selbst auf Mitarbeitersuche.
IZ: Wenn es doch der externe Experte wird, wie kann sichergestellt werden, dass seine Strategie wirklich in das Unternehmen implementiert wird?
Strauß: Ich würde immer dazu raten, einer extern rekrutierten Fachkraft eine interne an die Seite zu stellen. So kann ein Wissenstransfer stattfinden, bei dem der/die „Neue“ schnell ein Gespür für die Strukturen und Prozesse im Haus und die Unternehmenskultur bekommt. Gleichzeitig findet ein Wissenstransfer statt und beide können im besten Fall ESG gemeinsam vorantreiben.
IZ: Was muss bei der Wahl eines Externen beachtet werden?
Strauß: Zunächst einmal muss klar sein, wobei genau Hilfe benötigt wird. Fehlt es an jemandem, der nah am Gebäude dran ist und Lösungsansätze, zum Beispiel in der Gebäudetechnik, einschätzen und das Asset-Management unterstützen kann? Oder fehlt es im Unternehmen an Kenntnissen im Regulatorikbereich? Muss eine Strategie erst aufgebaut werden, oder braucht es jemanden, der eine Datengrundlage schafft, analysiert und verbessert? Oder besteht das größte Problem vielleicht darin, eine Strategie und bereits geplante Maßnahmen wirklich in die Organisation hineinzutragen? Erst wenn das klar ist, kann gezielter gesucht werden.
IZ: Wer sind die Vorreiter in Sachen ESG?
Strauß: In jeder Sparte der Immobilienbranche gibt es einige Vorreiter, die das Thema von sich aus schon vor 2020 gelebt und umgesetzt haben. Zudem gibt es die ganz großen Unternehmen, wie zum Beispiel Fondsgesellschaften, die früh unter Druck standen und handeln mussten. Aus diesem Druck heraus hat sich bei vielen eine Eigenmotivation zu mehr Nachhaltigkeit entwickelt. Bei kleineren Unternehmen war der Druck noch nicht so hoch, und um Ressourcen zu sparen, wurde das Thema noch nicht angegangen.
IZ: Welche Faktoren sind wichtig, um ESG-Strategien erfolgreich einzuführen?
Strauß: An erster Stelle steht ganz klar, dass die Geschäftsführung sich zum Thema Nachhaltigkeit committet. Was die Führung nicht authentisch kommuniziert, kann nur schwer in einem ganzen Unternehmen umgesetzt werden. Dann braucht es klare Ziele, Prioritäten und eine Strategie, die genau auf diese hinarbeitet. Dafür müssen alle Mitarbeitenden mitgenommen werden. Aber Unternehmen müssen auch flexibel und agil sein und bereit, etwas Neues auszuprobieren. Nachhaltigkeit ist komplex und ständig gibt es neue Vorgaben und Erkenntnisse, auf die reagiert werden muss. Als Königsklasse würde ich es bezeichnen, wenn durch eine ESG-Strategie sogar neue Geschäftsmöglichkeiten oder Geschäftsmodelle entstehen.
IZ: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Janina Stadel.
Janina Stadel