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"Zeitalter der Edel-Ich-AGs - das ist Quatsch!"

Wie sieht die ideale Führungskraft – in den Augen der Anwärter auf diese Position – aus? Etwa 1.300 Young Professionals und Studenten der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sowie der Informationstechnologie hat Holger Rust, Professor für Wirtschaftssoziologie am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover, in den vergangenen neun Jahren dazu befragt. Der Nachwuchs gibt den aktuellen Führungskräften meist schlechte Noten. Wenn Unternehmen diese klugen Köpfe binden möchten, müssen sie deren Wertvorstellungen berücksichtigen.

Sonja Smalian
11. Februar 2010
Bild: WengerWittmann
Immobilien Zeitung: Professor Rust, Sie haben Studenten und Young Professionals nach Ihren Vorstellungen von einer idealen Führungskraft befragt. Welche Fähigkeiten sollte diese mitbringen?

Holger Rust: Als wesentliche Eigenschaften haben wir Inspirationsfähigkeit, Lern- und Kommunikationsbereitschaft, weniger Risikobereitschaft, eine hohe Delegationsfreude und eine starke moralische Ausrichtung herausgefiltert. Der Nachwuchs verlangt nach einer sehr starken Mitarbeiterorientierung und einem kommunikativen und kooperativen Führungsstil.

High Potentials fordern echten Diskurs

IZ: Und diesen Führungsstil verkörpern die jetzigen Führungskräfte in den Augen der Young Professionals und der Studenten nicht?

Rust: Nein. Derzeit dominiert ein kennzahlenorientierter Führungsstil, der sich durch technokratisches und formalistisches Arbeiten auszeichnet. So sieht die jetzige Führungsgeneration in der Kommunikation oftmals nur eine Art technisches Werkzeug zur Mitarbeiterführung. Die junge Generation versteht darunter jedoch einen echten Diskurs.

Nachwuchs würde selbst wertorientierter Handeln

IZ: Sich selbst gibt der Nachwuchs deutlich bessere Noten, was die Führungsqualität nach ihren Wertvorstellungen angeht. Wieso glauben die Befragten, dass sie es besser können?

Rust: Weil sie es wollen! Und weil sie bereits selbst erfahren haben, dass diese Werte auch im Alltag gelebt werden können.

IZ: Regelmäßig wird zumindest der Generation der Bachelor- und Masterabsolventen attestiert, sich pragmatisch und opportun zu verhalten, um eine möglichst hohe „Employability“ zu erreichen und schnell Karriere zu machen. Mit dem Fokus auf die Mitarbeiterorientierung zeichnen Sie nun ein ganz anderes Bild.

Rust: Ja, das stimmt. Das Auffällige an den Untersuchungsergebnissen ist, dass sich die Wertvorstellungen über den neun Jahre währenden Befragungszeitraum nicht verändert haben. Das Streben nach reiner Employability ist nur wenig ausgeprägt, vielmehr beobachten wir ein Unbehagen mit der alten, derzeit aber noch vorherrschenden Wirtschaftskultur, zumindest was den Führungsstil angeht.

IZ: Wie reagiert der Nachwuchs auf diese Wirtschaftskultur?

Rust: Zum einen finden wir die Reaktion: „Ich mache das jetzt noch ein paar Jahre – und dann mache ich mich selbstständig“. Das andere Extrem ist die Totalverweigerung – viele Studenten entscheiden sich gegen ein Wirtschaftsstudium, weil sie nicht die sein wollen, „die etwas kaputt machen“.

IZ: … und diejenigen, die sich anpassen?

Rust: Genau. Das alte System bleibt dadurch erhalten, aber es gibt auch die, die etwas verändern wollen.

Die Arbeit muss sich durch Sinnhaftigkeit auszeichnen

IZ: Wie übersetzen sich die Wertvorstellungen der künftigen Führungsgeneration auf ihr Bild von der Arbeit?

Rust: Der Nachwuchs fordert Arbeit, die einen finanziellen Mehrwert fürs Unternehmen, einen emotionalen für die Persönlichkeit und einen moralischen für die Gesellschaft bringt. Das Problem ist, diese jungen Menschen finden seltener Karrierewege, die sie früh in die Verantwortung führen.

IZ: Was müssen Unternehmen also tun, um die künftige Führungsriege für sich zu begeistern?

Rust: Zum einen muss Human Resources mit dem strategischen Management zusammenarbeiten. Dann sollte eine Kultur in den Unternehmen etabliert werden, die stärker die Persönlichkeit jedes Einzelnen in den Vordergrund stellt, nur so kann ein Austausch und damit die Voraussetzung für Innovationen in den Unternehmen geschaffen werden.

IZ: Und wenn sie ihre Idealbedingungen nicht finden, ziehen die High Potentials dann weiter?

Rust: Ja, notgedrungen. Der Nachwuchs hat im Prinzip aber die Bereitschaft zur Loyalität und will seine ganze Kraft einem Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das zeigen unserer Ergebnisse. Das häufig propagierte Zeitalter der Edel-Ich-AGs ist Quatsch. Die Kommunikationsorientierung soll nicht Selbstzweck sein, sondern eine sachbezogene Kommunikation, die Wertschätzung ausdrückt und eine Kultur des Vertrauens etabliert.

IZ: Was fordern Sie also von den Unternehmen?

Rust: „Zocken“ mit den „Derivaten“ der Mitarbeiterintelligenz, die sie in ihren Unternehmen haben, Unterschiede pflegen. Das mittlere Management muss ermutigt werden, Talente zu erkennen und an sich vorbei nach oben zu entwickeln. Dafür brauchen wir ein anderes Gratifikationssystem. Es muss zu einem Prestige werden, Talente zu entdecken. Auch die Vorstände müssen von ihrer Meinungsführerschaft innerhalb der Unternehmenshierarchie lassen können. Es ist wichtig, dass alle sachbezogen miteinander sprechen, nur so kann eine neue Innovationskultur entstehen.

IZ: Herr Rust, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Sonja Smalian.

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