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Zeit zum Durchatmen muss sein

Jürgen Dawo, Chef des Fertighausherstellers Town & Country verbringt jede Woche mehrere Stunden im Wald, um psychisch gesund zu bleiben. Doch eigentlich helfen schon wenige Minuten bewusstes Atmen, um aus dem Hamsterrad auszusteigen – dafür braucht es weder einen Wald noch viel Zeit.

Immobilien Zeitung
15. Juni 2023
Quelle: stock.adobe.com, Urheber: mmodboard

Im Jahr 2014 ging bei Jürgen Dawo nichts mehr. Der Geschäftsführer des Fertighausanbieters Town & Country befand sich mitten in einem Burnout – das Ergebnis jahrzehntelanger Überarbeitung. „Ich habe mich mit 22 Jahren selbstständig gemacht und immer schön Gas gegeben“, sagt Dawo. Das ging viele Jahre gut, doch mit 54 Jahren bekam er die Quittung, schlief schlecht, war gereizt. Ein dreiviertel Jahr hat es gedauert, bis Dawo wieder voll arbeitsfähig war. Seine Medizin war die Natur. Dawo hat Waldbaden für sich entdeckt, das heißt, er erlebt den Wald mit allen Sinnen. Er setzt sich beispielsweise auf einen Baumstamm, betrachtet die Rinde der Bäume, spürt das Moos unter seinen Füßen und lauscht den Vögeln. „Im Wald gewinne ich Abstand zum Hamsterrad und kann tief durchatmen.“ Selbst knapp zehn Jahre nach seinem Burnout verbringt Dawo immer noch mehrere Stunden pro Woche im Wald – gern auch als ausgedehnte Mittagspause. Dass Waldbaden nicht nur Zeitvertreib ist, sondern einen positiven Effekt auf die Gesundheit hat, zeigen zahlreiche Studien – in Japan gibt es sogar einen eigenen Forschungszweig zum Waldbaden. Wer sich im Freien aufhält, senkt seinen Blutdruck, reduziert Stresshormone und stärkt das Immunsystem. Das liegt unter anderem an den sogenannten Terpenen: Die Pflanzenduftstoffe sorgen dafür, dass wir uns nach einem Waldspaziergang ausgeruht und entspannt fühlen.

Der Chef von Town & Country ist zwar ein Extrembeispiel, doch psychische Gesundheit rückt immer stärker in den Fokus. Arbeitgeber sind sogar rechtlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter körperlich und psychisch gesund bleiben. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) empfiehlt, eine Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Dabei erfassen Arbeitgeber mögliche Gefahrenquellen und legen Maßnahmen fest, durch die sie ihre Beschäftigten davor schützen können. Bei körperlichen Gefahren ist das noch vergleichsweise einfach: Wer als Dachdecker in großer Höhe arbeitet und Gefahr läuft, in die Tiefe zu stürzen, braucht eine Schutzausrüstung und Sicherungsseile. Doch wie schützt man sich vor ausufernden Arbeitszeiten und immensem Zeitdruck?

Arbeitszeiten brauchen klare Regelungen

Einerseits ist der Arbeitgeber in der Pflicht, etwa indem er Arbeitszeiten klar regelt und Urlaube ermöglicht. Gesundheitsangebote wie Seminare zur Stressprävention und Sportkurse gehören arbeitgeberseitig außerdem längst zum guten Ton. Eine Studie der Klinikgruppe Asklepios und der Beratungsgesellschaft Roland Berger zeigt jedoch, dass nur rund zwei Drittel der Belegschaft solche Gesundheitsangebote nutzen. Die größten Hürden sind laut den Studienautoren genau das, was für Stress sorgt: volle Tage, zu wenig Wissen über Stressmanagement und fehlende Motivation.

Andererseits geht es nicht darum, dass Arbeitgeber ihren Mitarbeitern die Verantwortung für sich selbst abnehmen, im Gegenteil: Wer etwas gegen Stress tun will, muss selbst ins Handeln kommen. Bewusstes Atmen ist ein guter erster Schritt. „Wer sich gestresst fühlt, aber keine lange Pause machen kann, sollte kurz seinen Atem beobachten“, sagt Lena Wittneben, Coachin für Persönlichkeitsentwicklung. Das funktioniert auch am Schreibtisch oder während der Autofahrt zum Kunden. „Ruhiges Ein- und Ausatmen aktiviert den Parasympathikus, also den Teil unseres Nervensystems, der für Ruhe und Entspannung zuständig ist“, erklärt Wittneben.

Nicht jeder nutzt die Gesundheitsangebote

Wie Menschen mit Belastungen umgehen ist individuell. „Die einen stürzen sich in die Arbeit, die anderen werden aggressiv oder ziehen sich zurück“, sagt Wittneben. „Ein Warnzeichen ist, wenn mir Dinge, die mir immer Energie gegeben und Freude gemacht haben, plötzlich keinen Spaß mehr machen. Oder wenn ein ruhiges Wochenende zur Erholung nicht mehr reicht.“ Zwar ist jede Person selbst in der Pflicht, auf sich und die eigene Gesundheit zu achten, doch Arbeitgeber können die richtigen Weichen stellen. Wer Gesundheitsangebote macht, muss darauf achten, dass die Beschäftigten auch genügend Zeit haben, daran teilzunehmen – also zum Beispiel keine Besprechungstermine in die Zeiten legen, wo das Sportprogramm stattfindet. Auch ein offener Umgang mit Fehlern und transparente Gespräche zu Erkrankungen sind essenziell. „Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen“, fordert Wittneben. Auch Vorgesetzte sollten also Ruhephasen vorleben und darauf achten, dass ihre Mitarbeiter am Feierabend das Diensthandy ruhen lassen.

Die Autorin: Anna Friedrich ist Journalistin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert.

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