"Schönen guten Abend, ich bin Immobilienmakler"
Immobilienmakler kann jeder werden. Und sich außerdem ohne viel Arbeit dumm und dusselig verdienen. Stimmt das? IZ-Kollege Friedhelm Feldhaus macht den Selbstversuch. Er meldet sich als Makler an, bildet sich fort, sucht verkaufswillige Hauseigentümer und … verdient sich dumm und dusselig?
„Diese Wohnung muss ich unbedingt haben! Das ist ein Traum!“ Die kajal-umflorten Augen strahlen, das Nasenpiercing zuckt im Rhythmus des Mundes, der die 15-minütige Besichtigung nutzt, um fast ununterbrochen Verzückung zu artikulieren. „Denken Sie an mich. Ich lade Sie auch zum Essen ein.“ Sie kokettiert mit schräg gelegtem Kopf. Der Hinweis auf die Beheizung der Wohnung via Kohleofen wird abgetan. „Wir sind ja beide schon über 40 und haben Erfahrung.“ Die Bemerkung eines Maklers geht mir durch den Kopf. „Die mit der größten Begeisterung haben die meisten Probleme.“ Möchte ich die Welt so sehen – als Makler, der ich jetzt bin?
Mitte Mai: Wir sind in Hamburg-Altona-Nord. Das Trendquartier Sternschanze vor der Tür, Ottensen und Uni jeweils zehn Minuten mit dem Rad, die Straße kopfsteingepflastert und gesäumt von frisch grünenden Eichen. Das Haus von 1906 ist seit 15 Jahren in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Die mir zur Vermietung anvertraute Dreizimmerwohnung wurde unlängst – nach 35 Jahren – von der Vormieterin in Richtung Neubauwohnung am Stadtrand verlassen. Der Eigentümer plant, in fünf Jahren seine Tochter einziehen zu lassen – sofern sie das Abitur schafft und in Hamburg studieren möchte. Dann sollen die 58 qm komplett saniert und modernisiert werden. Bis dahin wird die Wohnung befristet vermietet – unrenoviert, mit Kohleöfen in zwei Zimmern, die übrigen Räume ohne Heizung.
Wozu habe ich eigentlich ein Sakko an?
Am Tag zuvor war ich mit dem Vermieter das erste Mal in der Wohnung, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Die neue Wohnung der Vormieterin muss wohl kleiner ausgefallen sein. Der halbe Hausstand war noch da: beiges Schlafsofa, Philips-Stereoanlage aus den 1970ern mit braunem Holzfurnier, Küchenschränke mit Kunststofffurnier, darauf mit Tesa befestigte Kinderbilder „von Paula für Oma“. Im Küchenschrank ein Ikea-Weinregal mit drei Flaschen aus den 1980ern, darunter Tiefenbacher Stiftsberg von 1985. Vielleicht ist Oma nicht in eine neue Wohnung gezogen, sondern in ein Heim.
Aus der Inaugenscheinnahme wird dann ein dreistündiges Aufräumen. Zwei Zimmer ausräumen, um ansprechende Fotos zu machen: mit Stuckdecke und Holzdielen – und Ofen. Raus mit der nachtblauen Auslegeware. Der geschäumte Rücken löst sich in gelbem Staub auf. Gesund kann das nicht sein! Mit dem Spachtel die Kleberreste von den Dielen kratzen. Wozu habe ich eigentlich ein Sakko angezogen?
Und dann rennen sie mir die Bude ein
Anschließend wird binnen drei Minuten der Immobilienmarkt sondiert und die Vermietungsstrategie entschieden. „Was denkst du? Was können wir nehmen?“ Ich weiß von Beschwerden des Mietervereins, in dem begehrten Quartier würden unsanierte Altbauwohnungen für 10 Euro pro qm vermietet. Aber ob die mit Kohle beheizt werden? „8,50 Euro. Das ist vergleichsweise günstig.“ Der Taschenrechner wirft eine monatliche Kaltmiete von 510 Euro aus. Hinzu kommen 70 Euro Betriebskosten. Wasser, Strom, Gas – für den Heizwasserboiler in der Küche, der auch das Duschwasser erwärmt – werden direkt mit dem Mieter abgerechnet. Und die Zielgruppe? ?Die Wohnung ist auch gut für WGs geeignet“, verweist der Besitzer auf die drei nahezu gleich großen Zimmer. Außerdem seien junge Menschen eher geneigt, die etwas widrigen Rahmenbedingungen durch Improvisation zu kompensieren. Der Vermieter – graumelierter Mittvierziger und Anlageberater mit handwerklichen Talenten – prophezeit: „Die werden Dir die Bude einrennen.“
Tatsächlich: Kaum ist die Wohnung mit knappem Text und den – wirklich guten – Fotos in der Immobilienbörse Immonet an einem Dienstagmorgen um 10 Uhr aktiviert, das Rabattangebot des spontan durchklingelnden Immonet-Beraters für ein Zwei-Jahres-Paket vertagt, habe ich eine E-Mail auf meinem neuen FWF-Immobilien-Account und der erste Interessent meldet sich am Telefon – ein freundlich-dynamischer Azubi der Osteopathie, der die Wohnung mieten, renovieren und dann ein Zimmer untervermieten will. Geld hat er keins, aber solvente Eltern, die bürgen könnten, und eine Oma, die Holz für den Ofen spendet.
Tja, und dann geht’s richtig ab. Bereits um 13 Uhr – nach drei Stunden – deaktiviere ich das Angebot. 429 Mal wird bis dahin das Exposé aufgerufen, es gibt 28 E-Mail-Anfragen und 17 Telefonanrufe. Bis 14.30 Uhr habe ich 16 Besichtigungstermine für den folgenden Freitag gemacht: im Viertelstundentakt von 16 bis 20 Uhr.
Das letzte Mal, als ich Mietinteressenten empfangen habe, war ich 28, Student der Sozialwissenschaften und Hauptmieter einer 120 qm großen Fünf-Zimmer-Altbauwohnung in Hannover-Linden – mit Kohleöfen. Jetzt bin ich 50, habe ein gasbeheiztes Häuschen mit passender Familie in Lüneburg und bin im wirklichen Leben Immobilienjournalist. Und das will ich auch bleiben! Oder?
Der Chefredakteur der Immobilien Zeitung ist da anderer Meinung. „Du wirst Makler!“, lautet sein Vorschlag, der gar nicht erst als Vorschlag zu verstehen war. „Wollen doch mal sehen, ob es stimmt, dass jeder Makler werden kann.“ Und um keinen Einwand aufkommen zu lassen, verspricht er, nicht nur alle notwendigen Behördengänge zu bezahlen, sondern gleich ein Existenzgründungsseminar mit. „Bis Ende Mai hast Du Zeit, irgendeine Bude zu vermitteln.“ Jetzt war es Mitte Februar.
Was braucht es, um Makler zu werden? Die IHK Lüneburg dazu auf ihrer Website: „Immobilienmakler benötigen vor Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit eine behördliche Erlaubnis gemäß § 34 c Gewerbeordnung (GewO). … Die Makler-Erlaubnis wird erteilt, wenn der Antragsteller nicht einschlägig vorbestraft ist und kein Konkurs- oder Vergleichsverfahren bzw. keine Eintragung im Schuldnerverzeichnis … vorliegt.“ Na gut. Und was muss ich können? „Für die Aufnahme der Maklertätigkeit werden keine fachlichen Voraussetzungen verlangt … . Sie sind jedoch für eine erfolgreiche Tätigkeit hilfreich.“ Recht lakonische Anregung, oder ist das norddeutscher Humor?
Der Kundenfang beginnt gleich auf dem Amt
Ich jedenfalls besorge mir einen „Antrag auf Erlaubniserteilung nach § 34c Gewerbeordnung“, suche mir einen Tag aus, an dem alle nötigen Ämter Besucher empfangen – und radele los. Im Finanzamt – einem Musterbeispiel staatlicher Einschüchterungsarchitektur im Gewand der 70er Jahre – ein unglücklicher Beginn. Unschlüssig stehe ich vor der richtigen Tür, klopfe dann, keine Reaktion. Ich trau‘ mich nicht rein, gehe zur Toilette. Dann wieder klopfen, keine Reaktion, aber Stimmen. Ich gehe rein, missbilligender Blick, denn da ist noch ein anderer Kunde vor mir. Als ich dran bin, geht es fix: steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung „kommt bis zum Wochenende“ (dauert dann tatsächlich doch zwei Wochen). Es folgt das Ordnungsamt, wo ich reibungslos ein Führungszeugnis der Belegart O – für Behörden – beantrage.
Und: ich akquiriere meine erste Kundin auf dem Amt. Ihre Tochter war mit meiner zur Erstkommunion gegangen. Sie braucht auch ein Führungszeugnis, um sich mit TCM selbstständig zu machen, – aber vor allem ein Haus für die vierköpfige Familie. Es darf etwas außerhalb von Lüneburg liegen, aber nicht sehr weit. Und das Budget ist ziemlich begrenzt. Und sie suchen bereits seit vier Jahren. TCM? „Traditionelle chinesische Medizin.“
Zwischen Hasardeur und Kosmetikerin
Voller Tatkraft erreiche ich die nächste Station, das Gewerbeamt in der Reitende-Diener-Straße. Der sehr freundliche Mitarbeiter sitzt in einem langgestreckten Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, das früher Reitenden Dienern als Heimstatt diente. Er fotografiert mich mit meiner Gewerbeanmeldung vor einem Ordnerschrank und zeigt mir die gesammelten Gewerbeanmeldungen aus der Nachkriegszeit in einem hölzernen Aktenschrank. „Alles noch da.“
Anschließend weiter zum Amtsgericht, einem 1849 errichteten Bau aus rotem Ziegel, gekrönt von hellen Zinnen. Die Dame in Zimmer 303 erklärt, dass die von ihr ausgestellte Bescheinigung, nicht in die Schuldnerliste eingetragen zu sein, nur bis Ende 2012 reiche. Für eine Bescheinigung bis zum aktuellen Datum müsse man sich neuerdings auf www.vollstreckungsportal.de eintragen. Hier werden Daten der Bundesländer zusammengetragen, um sicherzustellen, dass ich kein Reisender in Sachen Schulden bin. Ich habe aber Glück und kann die Anmeldung im Vollstreckungsportal vermeiden, da der Sachbearbeiter im Gewerbeamt von der Modernisierung nichts weiß und die befristete Bescheinigung akzeptiert. Am 14. März ist sie da, die Maklererlaubnis gemäß § 34c GewO. 140 Euro Gebühr werden fällig – nicht übertrieben teuer für die staatliche Autorisierung, Millionenwerte vermitteln zu dürfen und hoffentlich riesige Provisionen einzustreichen.
Genau diese Motivation gibt etwas undiplomatisch der vielleicht 20-jährige Albaner zu Protokoll, der mit mir eine Woche später den zweitägigen Lehrgang „Immobilienmakler I“ besucht. „Ich mache zurzeit nix und möchte gern selbstständig sein. Mit Immobilien kann man viel Geld verdienen.“ Neben dem ambitionierten jungen Makler in spe füllen über 30 Menschen den Tagungsraum eines Drei-Sterne-Hotels am Flughafen. Der Seminarleiter hat zu Beginn die Stimmung etwas aufgelockert: „Nehmen Sie Platz. Stühle kommen gleich. Die ideale Ehe? Er taub, sie blind.“ Und so weiter.
Es sind etwas mehr Frauen als Männer da. Etwa die Enddreißigerin in dem kleinen Schwarzen. „Ich habe Anwaltsgehilfin gelernt, war dann Hausfrau und bin jetzt Maklerin. Vor fünf Jahren habe ich diesen Einführungskurs besucht. Das Beste, was ich machen konnte.“ Dahin möchte eine gelernte Kosmetikerin auch kommen. Ein Hotelier mit Frau will sein Hotel verkaufen und sich „dann über die Zukunft Gedanken machen“. Das Paar hofft auf Tipps für den Verkauf und Anregungen für die Zukunft. Ein großgewachsener, kräftiger Türke ist Unternehmensnachfolger in einem Wohnungsunternehmen und strebt den Abschluss als Geprüfter Immobilienwirt an – den man hier erwerben kann, wenn man länger als die von mir gebuchten zwei Tage (für immerhin 500 Euro) Geduld hat.
Viele wollen nebenberuflich als Makler einsteigen oder sich im Rahmen ihres Jobs weiterqualifizieren. Wie der sympathische Mittvierziger neben mir, der beruflich Büros für sein Unternehmen anmietet (zum Teil in einem Umfang, der eine Meldung in der Immobilien Zeitung wert wäre) und ein 6-Tage-Seminar samt Prüfung selbst finanziert hat – für deutlich über 2.000 Euro. An den zwei Tagen ist er ziemlich unterfordert: Nix Neues für den Profi.
Zwei Makler und ein Hefeweizen
Ich bin auch unzufrieden, denn ich lerne im Rahmen eines radikalen Frontalunterrichts mit insgesamt 2,5 kargen Tafelbildern innerhalb von sieben Stunden vor allem, wie ich sichergehe, dass ich meine Provision bekomme. „Ein Maklerschild im Garten hilft gegen die Ausrede: Ich habe vom Nachbarn gehört … Wenn Sie aber einer betrügen will, haben Sie keine Chance.“ Immerhin: „Der beste Maklervertrag ist das Vertrauen zu Ihrem Auftraggeber.“
Zu den Betrügern aber kann auch der Notar gehören, höre ich am zweiten Tag von der vortragenden Dame – die, wie ihr Vorgänger tags zuvor, bereits seit 15 Jahren nicht mehr im Maklergeschäft ist. „Notare haben keinen Heiligenschein“, sagt sie und fügt an, dass in deren Nebenzimmern schon mal Schwarzgeldgeschäfte getätigt werden. In einem Fall sei von einem Gauner mit Sinn für Humor aus dem kriminell erwirtschafteten Ertrag ein Rennboot namens „Black Money“ gekauft worden. Jaa, an Anekdoten aus dem langen Maklerleben fehlt es nicht. Wie etwa die zum Thema Haustiere. „Ein Mieter hatte zwei Schlangen. Er starb – zunächst unbemerkt. Als er entdeckt wurde, war eine Giftschlange verschwunden – und wurde nie gefunden. Da wär´ ich nie eingezogen.“
Ich will nicht ungerecht sein. Es gibt ganz praktische Tipps – mit Seitenhieben auf die Verbände und die Politik. „Mietnomadentum wird viel zu hoch gehängt. Wir haben maximal ein Prozent Mietnomaden. Die einfache Lösung dagegen ist eine Bescheinigung vom Vorvermieter. Wenn der den Mieter durch Lügen wegloben will, wird er schadenersatzpflichtig.“ Auch zur aktuell diskutierten Stärkung des Bestellerprinzips gibt es eine klare Aussage: „Jeder Vermieter wird einen Weg finden, sich das Geld vom Mieter wieder zu holen – und wenn er es sich schwarz geben lässt.“ Und zu bestimmten Zielgruppen: „Kein Hamburger Makler vermietet an einen Lehrer.“ Studenten seien Hartz-IV-Empfängern vorzuziehen, „weil die noch eine Perspektive haben“.
Wir kriegen also jede Menge Tipps und Infos, wie Kauf- und Mietverträge hieb- und stichfest gemacht werden – u.a. damit die Provision wirklich fließt. Aus meiner Perspektive wird damit der zweite vor dem ersten Schritt behandelt. Bevor ich mich mit Verträgen beschäftigen kann, muss ich erst einmal ein Objekt zum Vermitteln haben! Aber die Akquisition von Vermittlungsaufträgen wird erst am dritten Tag behandelt – wenn die Hungerleider und Geizkragen unter den angehenden Maklern, die sich nur zwei Tage leisten konnten, nicht mehr da sind. Immerhin: Ich bekomme eine Bestätigung über die Teilnahme am zweitägigen Lehrgang ausgehändigt.
Doch wie komme ich nun an Vermittlungsaufträge? Im Seminar habe ich gelernt, dass ich nicht einfach bei privaten Anbietern anrufen und meine Qualitäten anbieten darf. Aber ein Bekannter kennt zwei jüngere Makler, die bereit sind, mich zu treffen (um abzuchecken, ob ein ernst zu nehmender Wettbewerber auf den Markt kommt?).
Nun ja, als erstes erfahre ich bei einem Hefeweizen, dass Lüneburg ein begehrtes Terrain für Makler ist. „Als ich vor zehn Jahren eingestiegen bin, habe ich den Markt sondiert. Damals waren etwa 70 Makler haupt- und nebenberuflich unterwegs – und weniger sind es nicht geworden.“ 70 Makler! Auf gut 1.000 Einwohner kommt ein Makler. Der Marktmonitor Immobilien 2012 zählt bundesweit 35.000 Makler. Bei 80 Mio. Einwohnern ist das Verhältnis dann 1 : 2.286. Lüneburg ist ja auch wirklich schön – und begehrt. Die Einwohnerzahl wächst jährlich um 350 Menschen und gerade Baugebiete wie das Hanseviertel nahe Bahnhof und Innenstadt sind sehr gefragt.
Schöne Einkommensquelle für einen jungen, dynamischen Makler wie mich, möchte man meinen. Doch meine Gesprächspartner schütteln den Kopf. Die alteingesessenen Maklerbüros seien gut vernetzt – und bei neuen Baugebieten regelmäßig zuerst am Ball. Und wie sind meine Gegenüber in den Markt gekommen? „Innerhalb von zehn Jahren noch nicht so, dass ich davon leben könnte. Ich bin aus Liebeskummer Makler geworden.“ Seine Freundin hatte ihn verlassen und die gemeinsame Wohnung habe kurzfristig vermietet werden müssen. Aber der Makler der Wahl sei am Freitagnachmittag schon im Wochenende gewesen. „Das kann ich besser, habe ich gedacht.“ Er arbeite heute bei einer Versicherung. „Mein Maklertelefon klingelt bei einem Callcenter. Die geben mir sofort per E-Mail Bescheid und ich rufe in der nächsten Arbeitspause zurück.“
Es gibt Bestechungsgelder?
Seine Kollege ist über die Anfrage von Kunden, die er im Anlage-Bereich betreut, auf die Vermittlung von Immobilien angesprochen worden. Beide unterstreichen, dass Stammkunden das Ziel jedes Maklers sein müssen und man „mindestens drei Jahre braucht, um in den Markt hineinzukommen“. Sehr trostreich! Zudem ist es in Lüneburg – der Stadt, in der Wohnungen für deutlich weniger Menschen gebaut werden als zuziehen – sehr schwierig, an Objekte zu kommen. „Einige Kollegen akquirieren wohl mit überhöhten Schätzpreisen, um sich die Aufträge zu sichern.“ Und von Wohnungssuchenden würden Bestechungen angeboten – im deutlich vierstelligen Bereich. Ist das viel? – überlege ich. „Ich werde schon angesprochen, wenn die Vorhänge abgenommen werden.“ Bei Besichtigungen sei ein Abstand von zehn Minuten günstig: „Zeit genug, sich alles anzusehen. Und wenn sich doch mal etwas überschneidet, sehen die Leute, dass Interesse da ist.“ Und: „Die ganz Begeisterten schicken selten eine Selbstauskunft.“
Besichtigungen, Mieter herumführen, misstrauisch sein – dem muss eine Beauftragung vorausgehen, verdammt! Es ist mir etwas peinlich, aber nach dem zweiten Hefeweizen wage ich es: „Habt ihr gerade ein Objekt, das ich mit anbieten könnte?“ Schweigen. „Vielleicht eins, das nicht so gut läuft?“ Nein. Der eine hat aktuell gar kein Objekt im Angebot und der andere ausdrücklich Alleinaufträge, bei denen er zunächst die Auftraggeber fragen müsste. Und das will er nicht, wird deutlich. Aber ihm hat das Gespräch gut gefallen und er schlägt vor, einen regelmäßigen Immobilienstammtisch einzurichten. Ich gehe mit einem guten Gefühl heim: mein Networking in der Maklerszene greift. Aber einem Auftrag bin ich nicht nähergekommen. Der eine Maklerkollege hatte erzählt, er schalte eine Anzeige, wenn’s mal nicht läuft. Da kämen immer Kontakte zustande.
Also eine Anzeige. Das passt gut, denn meine FWF-Immobilien.de-Website steht (leider ohne Angebote) und ich habe eine entsprechende E-Mail-Adresse. Und weil ich gelernter Sozialwissenschaftler und Journalist bin, denke ich mir etwas aus, womit ich eine Nische besetzen kann: Makler mit soziologischem Anspruch und Gespür. Der Text meiner zweispaltigen Anzeige in der Lünepost und im Lüneburg-Teil des Hamburger Abendblatts lautet:
„Der passende Mieter für Ihre Hausgemeinschaft!“
Friedrich W. Feldhaus Immobilien vermittelt privaten Wohnungsvermietern Mieter, die nicht nur solvent sind, sondern auch sozial in Ihre Hausgemeinschaft passen! Sprechen Sie uns an! Wir erstellen das richtige Profil!
Friedrich Wilhelm Feldhaus Immobilien
Tel.: 04131 – 7898 370
feldhaus@fwf-immobilien.de
Inzwischen sehe ich den Text etwas kritisch. Nicht nur, weil sich kein einziger Hausbesitzer auf mein spezielles Angebot einlassen wollte. Hausgemeinschaft hört sich etwas nach Kommune an, solvent ist ein unnötiges Fremdwort und mit dem Ansatz, auf Vermieter zu setzen, die auf das Wort sozial reagieren, ist das Thema Nische wohl etwas überstrapaziert. Dafür haben jede Menge Menschen in der irrigen Hoffnung angerufen, ein neuer Makler käme mit neuen Wohnungen im Angebot auf den Markt. Aber der Künstlername Friedrich Wilhelm – Langform von Friedhelm – klingt doch recht seriös, oder?!
Es ist Mitte April: Ich wähle einen bewährten, aber für mich mit unangenehmem Beigeschmack versehenen Weg. Per E-Mail werden Freunde und Bekannte kontaktiert, ob sie selbst Wohnungen oder Häuser zur Vermietung oder zum Verkauf haben und mir zur Vermittlung überlassen. Da es um Freunde und Bekannte geht, steht in der E-Mail, dass ich Makler nur auf Zeit sein werde und auch nur deshalb, weil ich die Erfahrungen journalistisch verwerten will. Unangenehm ist diese Akquise deshalb, weil ich dahingehend sozialisiert bin, berufliche und private Beziehungen nicht in Abhängigkeit miteinander zu bringen. Und die weitgehende, heikle Stille, die diesem Aufruf folgt, bestätigt mir, dass diese Haltung präsenter ist, als der allgegenwärtige Vernetzungshype mit Freunden und (Geschäfts-) Partnern via Xing oder Facebook nahelegt.
Und doch bin ich sehr dankbar, dass es eine Reaktion gibt. Meinem alten Fußballkumpel „erschließt sich zwar nicht so ganz dein Plan, aber ich habe ja zwei Häuser mit insgesamt zwölf Mietern (zurzeit sind alle Wohnungen vermietet und es steht kein Wechsel an). Was würde dir konkret weiterhelfen? Ein echter Maklerauftrag in Zukunft?“ Genau so könnte ich Referenzen schaffen und weitere Auftraggeber akquirieren! Und es gibt noch ein Angebot: Der Bruder eines Bekannten will im Nachbarort sein Haus verkaufen – leider erst im Juli, wenn Sie das Jubiläumsmagazin der IZ mit diesem Text schon in Händen halten. Also doch kein Erfolg bis Ende Mai?
Mich erreicht der Tipp, als Nachweismakler zu agieren, um fix zu Angeboten und gegebenenfalls auch zu Vermittlungserfolgen zu kommen. „Du rufst private Vermieter an, die ihre Wohnungen in der Zeitung anbieten, outest dich aber nicht als Makler. Bei kollektiven Besichtigungsterminen sammelst du die Infos ein, machst ein paar Fotos und bietest die Wohnung einfach online an.“ „Und das ist legal?“ „Absolut!“
Das mag legal sein, kollidiert aber mit meinem konservativen Verständnis von Rechtschaffenheit. Andererseits: in der Not … Ich merke, wie mir der Druck, zu einem Auftrag zu kommen – auf welchen Wegen auch immer –, zu schaffen macht. Absurd. Ich bin Journalist. Mit körperlich fühlbarem Widerstand rufe ich zehn private Anbieter an: Alle bieten Einzeltermine, keine anonymen Sammelführungen. Gott sei Dank.
Mit dem Fahrrad auf Kaltakquise
Stattdessen beschließe ich, mir selbst Objekte zu erschließen. Mit dem Rad erkunde ich Lüneburg auf der Suche nach Häusern, die so wirken, als ob sie demnächst verkauft werden könnten – etwa verwahrloste Grundstücke (die sind wirklich rar hier). Mit Erfolg. Ein kleines Einfamilienhaus aus den fünfziger Jahren, kaum gemähter Rasen, wuchernde Sträucher vor den Fenstern, ein abgemeldeter Opel Astra neben dem Haus. Und die Lage ist top: Zehn Minuten mit dem Rad zum Bahnhof, 15 Minuten in die Innenstadt, grüne, recht ruhige Lage, die Auffahrt zur nahen, vernehmbaren Autobahn nach Hamburg nur wenige hundert Meter entfernt, das nächste Nahversorgungszentrum noch näher. Angetan mit einem Sakko und frisch rasiert komme ich zwei Tage später am frühen Abend wieder und klingele – und nach einer gefühlten Ewigkeit noch einmal – wie ein Vorwerk-Vertreter. Nun ja, das ist ein guter Staubsauger und das Unternehmen ist durch den Tür-zu-Tür-Verkauf erfolgreich gewesen, fährt mir durch den Kopf. „Ja?“ Die Tür hat sich vorsichtig geöffnet, ein Endfünfziger schaut mich verhalten freundlich an. „Friedrich Wilhelm Feldhaus. Schönen guten Abend! Ich bin Immobilienmakler und auf der Suche nach Hausbesitzern, die über einen Verkauf nachdenken. Gehört Ihnen das Haus?“ Er nimmt und liest die Visitenkarte, die ich ihm hinhalte. „Ja – und meiner Frau.“ Er trägt ein kariertes Hemd, Jeans und beige Hausschuhe auf schwarz-weiß fein gemusterten, kleinteiligen Flurfliesen. „Haben wir schon mal dran gedacht. Aber nicht jetzt. Meine Frau ist nicht da.“ Er möchte mich anrufen, wenn er mit ihr gesprochen hat, nächste Woche. „Wunderbar! Und wenn Sie Fragen haben, sprechen Sie mich einfach an!“ Ich bin mächtig erleichtert, dass er mir die Tür nicht vor der Nase zugeknallt hat – was mir allerdings bei den nächsten beiden Versuchen passiert. Ich habe noch zwei weitere Häuser ausgeguckt – und dabei Wohnstraßen in Lüneburg entdeckt, in denen ich in 16 Jahren noch nicht war, obwohl sie nur wenige hundert Meter von unserem Haus entfernt liegen.
Einige Tage später spricht mich ein ebenfalls von mir per E-Mail Angeschriebener an. „Bist du noch im Maklergeschäft?“ „Joo …“ „Brauchst du noch ’ne Wohnung – zum Vermieten?“ „Jah!“ „Hamburg geht auch?“ „Klaro!“ Wir verabreden uns und kurze Zeit später stehe ich in Altona-Nord in der Dreizimmerwohnung mit Kohleofen, beigem Schlafsofa, Philips-Stereoanlage aus den 1970ern mit braunem Holzfurnier, Küchenschränken mit Kunststofffurnier, den darauf mit Tesa befestigte Kinderbildern „von Paula für Oma“ sowie dem Ikea-Weinregal mit dem Tiefenbacher Stiftsberg von 1985. Was folgt, ist die Immonet-Anzeige, ein Besichtigungsplan und nach einem Blick auf den Kalender die unausweichliche Frage des IZ-Chefredakteurs: „Und??“
„Ja, es ist vollbracht. Der Mietvertrag ist unterschrieben.“ Den Zuschlag haben zwei Dreißiger erhalten. Sie studierte Ethnologin und beim Film gelandet und er Student der Islamwissenschaft. Überzeugt haben Sie durch ihr Engagement: Bewerbungsmappe mit individuellem Cover (dem Grundriss der angemieteten Wohnung), allen Unterlagen, die heute obligatorisch sind, wie Selbstauskunft, Kopien der Personalausweise, Einkommensbelege, Arbeitsverträge, Schufa, Auskunft des Vorvermieters, mögliche Bürgschaft der Eltern usw. (Im Maklerseminar habe ich gelernt, dass es eigentlich pfiffiger ist, wenn die Eltern gleich selbst mieten, weil die Haftung dann über die Mietsicherheit hinausgeht.) Und nachdem die objektiven Daten stimmten, wurde es subjektiv. Die charmante, freundliche Ausstrahlung, gerade der Dame, hat den Ausschlag gegeben – auch bei der Frau des Vermieters.
Als ich etwas abgehetzt und schwitzend – unerwartete 18°C Ende Mai in Hamburg – zum Mietvertragstermin haste, denke ich aber auch an die Absagen: an den fröhlichen Azubi (um den man sich keine Sorgen zu machen braucht), die Designerin für Damenwäsche (die nicht nur Pech mit ihrem ersten Laden hatte) oder das Pärchen, das zum 1. Juli aus der Wohnung muss – sie Friseurin ohne Arbeit und er promovierter Soziologe mit halber Stelle. Gerade die staatlich gestützte Friseurin hatte mehrfach angerufen, die dringliche Situation beschrieben und den Zuschlag erbeten. Wem bin ich verpflichtet als Makler? Der Not der Mietinteressenten oder dem Eigentümer? Natürlich dem Eigentümer. Und als Mensch? Da lasse ich mich bei der Empfehlung an die Eigentümer auch von meinen Vorurteilen leiten – ohne Frage.
Ich biege um die letzte Ecke. Die beiden Neumieter stehen schon vor der Tür, drücken die Zigaretten aus – und strahlen mich an. „Wir haben uns sooo gefreut, dass Sie uns ausgesucht haben!“ Jetzt lacht sogar die Sonne. Meine düsteren Gedanken verfliegen – auch weil die erste Provision verdient ist: zwei Monatsmieten plus 19% Mehrwertsteuer.