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In der Komfortzone

Die Berufsneulinge strotzen vor Selbstbewusstsein, wenn sie ihre Ansprüche formulieren. Ein gutes Einstiegsgehalt sei häufig schlichtweg angemessen, eine Führungsposition das Ziel. Gleichzeitig scheuen sie das Risiko, lehnen finanzielle Verantwortung eher ab. Unternehmenschefs sagen: Das eine geht nicht ohne das andere.

Anke Pipke
11. Mai 2018
Quelle: Fotolia.com, Urheber: Andrey Kiselev

Andreas Engelhardt kommt manchmal aus dem Staunen nicht heraus. Der Geschäftsführer der GWG-Gruppe hat bereits viele Bewerbungsgespräche erlebt. Doch in letzter Zeit gerät auch er ins Stocken, wenn er hört, wie klar und überhöht die Gehaltsvorstellungen mancher Berufseinsteiger sind. „Und das, obwohl sie noch gar keine Berufserfahrung vorzuweisen haben“, wundert sich der Chef. Mit seinem unguten Gefühl ist er nicht allein. Große Augen macht auch Rodolfo Lindner, Partner bei der Schweizer Unternehmensberatung cctm consulting, wenn er dem Nachwuchs zuhört. „Die jungen Leute wollen Unternehmer sein, sind aber wenig risikoaffin.“ Er glaubt, das sei ein europäisches Phänomen. „Ich nenne das Wohlstandsverwahrlosung.“ Die Bereitschaft, sich aus seiner Komfortzone hinauszubewegen, sei sehr gering.

Die Erfahrungen der beiden Unternehmer sind Ausdruck dessen, was die noch unveröffentlichte Studie „Was die Wirtschaft denkt – und die Jugend will“ des Competence Center Process Management Real Estate (CC PMRE), der HTW Berlin und cctm consulting offenlegt: die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an den gegenüberliegenden Seiten des Schreibtischs. 89 Auszubildende und Studenten aus immobiliennahen Ausbildungsgängen wurden für die Studie befragt. Und nicht nur die. Gleichzeitig haben die Wissenschaftler die Erwartungen von 173 Fach- und Führungskräften der Immobilienwirtschaft an ihre Mitarbeiter von morgen erhoben. Das Resultat sind oft Ergebnisse, die Unternehmer den Kopf schütteln lassen.

Ein Beispiel: Viele Einsteiger wollen recht schnell eine Führungsrolle mit entsprechendem Gehalt übernehmen. Sie schrecken jedoch zugleich vor finanzieller Verantwortung zurück. „Führung hat immer etwas mit Verantwortung zu tun“, sagt Dirk Tönges, Geschäftsführer von Vivanium Real Estate. Dass es das eine ohne das andere geben könnte – „diesen Zahn muss man der Jugend ziehen“.

Damit nicht genug. Für die jungen Leute spielt die Gewinnmaximierung des Unternehmens nicht gerade die größte Rolle, gleichzeitig möchten sie allerdings einen sicheren Arbeitsplatz haben, ein hohes Gehalt kassieren, möglichst lange in dem Unternehmen bleiben und einen Dienstwagen fahren. Das gehe nicht alles zusammen, sagt GWG-Chef Engelhardt. „Die Vorstellungen sind oft ganz weit weg vom Unternehmensalltag.“

„Das lässt sich doch alles erklären“, lautet derweil der entspannte Tenor einzelner Studenten und Absolventen auf Nachfrage. Nico Busch und Agnes Cofalla halten ein gutes Gehalt zu Beginn des Berufslebens für angemessen. „Insbesondere Berufseinsteiger investieren sehr viel Zeit, scheuen nicht vor Überstunden zurück und müssen sich zunächst beweisen und wollen dies auch“, sagt die 23-jährige Cofalla. Dafür müssten die Einsteiger oftmals im Privatleben zurückstecken. „Der Ausgleich dafür ist ein gutes Gehalt sowie mögliche Zusatzleistungen des Arbeitgebers“, erklärt die Masterstudentin an der HTW Berlin.

Nico Busch bringt darüber hinaus das Schlagwort ins Spiel, das Unternehmern ohnehin bereits Sorgenfalten ins Gesicht treibt: der Fachkräftemangel. „Der ist inzwischen auch in den Köpfen der Absolventen angekommen“, erklärt Busch, 26-jähriger Absolvent der hochschule 21 in Buxtehude. Die Studenten kennen ihren Marktwert und wollen ihn u.a. im Einstiegsgehalt widergespiegelt sehen. Zudem sei Busch mit seiner Ausbildung, dem dualen Studium und einem ansehnlichen Abschluss in eine gewisse Vorleistung gegangen, um der Firma ein kompetenter Mitarbeiter zu sein, sagt er. Da erwarte er von dem Unternehmen eine angemessene Gegenleistung.

Das hat Busch zufolge aber nichts mit solch weit überhöhten Forderungen eines hochmotivierten Studenten zu tun, der direkt vom Hörsaal ins Berufsleben startet. Diese Träumereien könnten von Unternehmen nicht erfüllt werden. Genauso wenig wie der aus der Studie hervorgegangene Wunsch, Führungspositionen ohne finanzielle Verantwortung zu übernehmen. Für Cofalla und Busch ist es selbstverständlich, dass beides zwangsläufig zusammengehört.

Die Studie des CC PMRE ist mit weiteren Hinweisen zu möglichen Fehlinvestitionen der Wirtschaft gespickt. Firmen, die ihr Geld zum Beispiel in die totale Digitalisierung ihrer Arbeitsabläufe stecken, können sich die Ausgaben sparen. Ein digitaler Chef, ein Tag voller Online-Meetings und Erreichbarkeit rund um die Uhr werden vom Nachwuchs eher abgelehnt. Gegen einen netten Plausch unter Kollegen an der Kaffeemaschine hat jedoch kaum einer etwas einzuwenden. Teeküche statt Chatroom.

So hoch der Stellenwert des persönlichen Kontakts für die Berufsanfänger auch ist, so klar stecken sie auch die Grenzen ab. Die Verquickung von Privatem und Beruf ist nicht erwünscht. Eltern-Kind-Büros zum Beispiel müssen demnach nicht vom Arbeitgeber angeboten werden, genauso wenig wie die Möglichkeit der Wochenendarbeit. Der Mitarbeiter von morgen findet die Fünf-Tage-Woche im Büro gar nicht so schlecht – wobei er da gerne selbst über die täglichen Arbeitszeiten entscheidet. Denn schließlich soll ja auch die Arbeit mit der eigenen Familienplanung kompatibel sein.

Heimelig mag es der Nachwuchs auch, wenn es um auswärtige Tätigkeiten geht. Bei kurzen Dienstreisen sind die jungen Leute noch mit Eifer dabei. Doch zwei, drei Jahre für den Job im Ausland zu verbringen, ist von manch einem Azubi und Studenten aus heutiger Sicht nicht unbedingt erwünscht. „Die Jugend kann heutzutage schon privat so weit reisen“, erklärt CC-PMRE-Geschäftsführerin Marion Peyinghaus. Dazu brauche man die Arbeit nicht. Der Reiz des Fremden sei nicht mehr in dem Maße vorhanden wie noch zur Ausbildungszeit manch eines Geschäftsführers oder Vorstands.

Wissenschaftlerin Peyinghaus erklärt diese Zurückhaltung des Nachwuchses mit seiner „Suche nach Nestwärme“. Ein fester Arbeitsplatz mit guter Arbeitsatmosphäre und das Zuhause mit Familie und Freunden als sicherer Rückzugsort tragen wesentlich zum Wohlfühlen der jungen Leute bei. Studentin Cofalla unterstreicht, wie wichtig ihr – neben den Anreizen wie einem guten Gehalt und Dienstwagen – die Teamstruktur und die Arbeitsatmosphäre sowie die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung und Herausforderungen sind. „Auch eine Kultur der Wertschätzung spielt dabei eine wichtige Rolle“, betont sie.

cctm-Chef Lindner interpretiert das als klaren Vorteil für kleine Unternehmen, die noch mehr Individualität bieten können. Absolvent Busch findet es hingegen einfacher, zunächst konkrete Gehaltsangebote unterschiedlicher Firmen zu vergleichen. Und da haben größere Unternehmen zwangsläufig bessere Karten. Kleinere Firmen hätten seiner Meinung nach erst dann eine Chance, mit ihrem Wohlfühlfaktor zu punkten, wenn sie duale Studenten schon im ersten Semester einstellen. Dann würden sich beide Seiten von Grund auf kennenlernen – mit all ihren persönlichen Erwartungen auf der einen und alltäglichen Erfordernissen auf der anderen Seite. „Durch die berufliche Vollzeittätigkeit ist eine sehr gute Symbiose zwischen Berufsleben und wissenschaftlicher Vorgehensweise gegeben“, sagt Robert Scheepers, Absolvent an der EBZ Business School. „Ein guter immobilienwirtschaftlicher Studiengang sollte – insbesondere für Studenten ohne Berufserfahrung – diverse Praxismodule beinhalten, sodass Studenten erleben, welche unternehmerischen Erwartungen mit dem gewünschten Gesamtpaket des Studenten eigentlich verbunden sind.“ Im Rheinland sage man dazu: „Vun nix kütt nix“.

Um sich in einem Bewerbungsgespräch künftig böse Überraschungen auf allen Seiten zu ersparen, will GWG-Chef Engelhardt selbst aktiv werden und bereits früher ansetzen. „Wir werden wohl noch mehr selbst ausbilden müssen“, sagt er. Vivanium-Geschäftsführer Dirk Tönges nimmt die Ergebnisse der Studie ebenfalls ernst. „Man muss den jungen Leuten zuhören, was ihnen wichtig ist“, sagt er. „Man muss ihnen aber auch Grenzen aufzeigen.“ Es komme ihm vor, als gehörten die in der Studie befragten Azubis und Studenten mehrheitlich zur Gruppe der Indianer. Was die Wirtschaft aber brauche, seien echte Häuptlinge.

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