← Zurück zur Übersicht

Im Schildkrötengang

Das „bisschen Haushalt“ erledige ich neben dem Beruf als Redakteurin so mit. Aber sind 18 Jahre Erfahrung in der Haushaltsführung genug, um neben echten Profis zu bestehen? Ich besuche den Praxisunterricht der Gebäudereiniger an der Berufsschule und heuere beim FM-Dienstleister Piepenbrock an.

Sonja Smalian
17. Juli 2013
Bild: Alexander Sell

Nach einer Viertelstunde in der neuen Mensa der Hochschule Osnabrück verliere ich kurz die Kon­trolle. Ich kriege nicht die Kurve mit meinem Scheuer-Saug-Automaten. Brummend rotiert seine Bürste über die Bodenfliesen. Das Schmutzwasser saugt er ­wieder ein und eine Gummi-Lippe zieht danach den Boden ­trocken ab und hinterlässt dabei eine dunkle, etwa einen halben Meter breite Spur auf dem Boden. Mit beiden Händen schiebe ich das Gerät, das ungefähr so groß wie ein Einkaufswagen ist, von hinten, mein Vorarbeiter dirigiert es an einem Griff ­vorne links. Es erinnert an den Reitunterricht: Ich halte zwar die Zügel, aber der Lehrer hat die Hand am Halfter und führt, besonders in den Kurven. Mit meinem Körpergewicht drücke ich die Griffe nach links, mein Vorarbeiter schiebt vorne in die entgegengesetzte Richtung und wir biegen nach rechts ab. Ein heller Streifen zeichnet sich zwischen den dunklen Bahnen ab. Der Beweis für meinen Fahrfehler.

Und das, obwohl ich im Schildkrötengang fahre, der niedrigsten Geschwindigkeit meines Scheuer-Saug-Automaten. Dann übernimmt mein Vorarbeiter das schwere Gerät. Er wählt für sich die Höchstgeschwindigkeit – „schneller Hase“. Mit dem Fahrgeschäft flitzt er durchs Foyer der Mensa. Er trägt ein schwarzes Polohemd mit Streifen in violett und orange an den Ärmeln und am Kragen. Der Name seines Arbeitgebers steht auf dem Rücken und als Logo auf der Brust. Seine Haare sind ebenso schwarz wie sein Brillengestell. Seit acht Jahren arbeitet er für Piepenbrock und weiß auch ohne Uhr am Handgelenk, ob wir in der Zeit liegen.

Viereinhalb Stunden Zeit hat er mit seinen drei Teamkollegen, um die neue Mensa der Hochschule Osnabrück mit 1.800 Sitzplätzen zu reinigen. Bis um 9 Uhr muss das Erdgeschoss mit der Cafeteria und den Toiletten betriebsfertig sein und bis 11 Uhr auch das Obergeschoss mit der Essensausgabe. Ich fühle mich eigentlich leidlich gut vorbereitet, da ich am Vortag am Praxisunterricht der Gebäudereiniger in der Philipp-Holzmann-Berufsschule teilgenommen habe.

Fangen sie wegen mir früher an?

Die Schicht beginnt um 6:30 Uhr. Doch als ich um 6:15 Uhr vor der Mensa stehe und den Pressereferenten und den Niederlassungsleiter von Piepenbrock treffe, haben drinnen schon drei meiner vier Kollegen auf Zeit mit der Arbeit begonnen. Arbeiten sie meinetwegen vor, damit sie trotz meiner in der Zeit bleiben?

Ich putze eigentlich ganz gerne. Und ich putze eigentlich auch ganz gerne schon morgens vor dem Frühstück noch im Schlafanzug. Allerdings putze ich meistens am Wochenende nach mindestens einem Kaffee. Frühstück gibt es erst später, nach der Dusche im blitzsauberen Bad. Nun muss ich zeigen, wie schnell ich mich schon um 6:30 Uhr bewegen kann. Das müsste ich doch hinkriegen, schließlich bin ich mit 19 Jahren ausgezogen und habe in diversen Wohngemeinschaften Stellungskriege ausgefochten – und zwar immer auf der Seite der Putzteufel. Aber in der Mensa geht es nicht um Haare im Abfluss. Hier geht es darum, möglichst viele Flächenmeter in einer möglichst geringen Zeit zu reinigen – quasi ein Blitzkrieg gegen den Schmutz.

Den führt ein Heer von rund 590.000 Beschäftigten in Deutschland täglich. Etwa jeder hundertste Arbeitnehmer verdient sein Geld in der Gebäudereinigung. Obwohl der Job ein Handwerksberuf ist, wird das Bild der Branche vor allem durch drei Dinge geprägt: viele Angelernte, viel Teilzeit, viele Frauen.

Im Einsatz gegen Schmutz und Staub wird wenig schweres Gerät verwendet. Neben dem Scheuer-Saug-Automaten ist der Staubsauger die einzige technische Unterstützung an diesem Tag. Der Rest ist genauso wie auch Zuhause – Handarbeit. Kanten, Säulen und Ecken müssen mit dem Mopp nachgearbeitet werden, denn da kommt der Automat nicht hin. Ich drücke und beuge mich über das Wischgestell.

Nach ein paar Metern zeigt mir mein Vorarbeiter, was er von mir erwartet: Mit geradem Rücken schreitet er voran und spurt Meter um Meter mit dem Wischgestell eine dunkle, feuchte Bahn auf den Boden. Entlang der Fußleiste zwei, drei Meter wischen, dann in einem großen S zurück und in einem zweiten großen S wieder in Laufrichtung über den Boden streichen, und das etwa 40 Meter lang. Die Technik war mir bis dahin unbekannt, die Aufgabenstellung in der Größenordnung allerdings auch.

Nach der letzten Fliese geht es ans Staubsaugen. Der Windfang der Mensa ist mit etwa zehn mal vier Meter auch so groß wie mein Wohnzimmer und mein Flur. Ich leere gemeinsam mit meinem Vorarbeiter die zwei großen Beton-Aschenbecher vor der Tür, sammele ein paar Stummel auf dem Boden ein und rolle mit ihm die beiden Staubfangmatten aus, die ich alleine nicht heben könnte.

„Wir müssen uns ein bisschen beeilen“, sagt mein Vorarbeiter. Diesen Satz werde ich heute noch öfter von ihm hören. Meine Wangen sind gerötet, die ersten Haarsträhnen haben sich gelöst, als ich hinter meinem Vorarbeiter in die Herren­toilette spurte. Handseife, Papierhandtücher und Klopapierrollen müssen aufgefüllt und die übervollen Papierkörbe geleert werden.

Rot steht für Klo, gelb für den Spiegel

Vier Farben gibt es in der Gebäudereinigung: gelb, rot, grün und blau. Jede steht für einen eigenen Reinigungsbereich. Mit gelben Tüchern werden Waschbecken und Spiegel gereinigt, mit roten Toiletten und Urinale. Dann geht es in die Toilettenkabinen. Tür aufstoßen, Reinigungsmittel in der Schüssel verteilen, mit dem roten Lappen das Klo von außen, die Ränder, die Brille und den Deckel abwischen. Danach noch über den Klobürstenhalter, die Klospültaste und den Toilettenpapierspender streichen. Auf dem Spender hatte ich bis heute immer mein Portemonnaie abgelegt, wenn ich keine Handtasche dabei hatte.

Die nur etwa vier Monate alten Toiletten sehen besser aus als meine altes Klo Zuhause. Selbst der Geruch ist nicht auffällig. Unangenehm ist, dass ich wohl noch nie mit so nüchternem Magen über eine Kloschüssel gebeugt war, denn in meinem Hotel für die letzte Nacht gab es noch keinen Küchenservice, als ich ausgecheckt habe. Genervt bin ich, als ich im dritten Klo mit der Bürste angetrocknete Spuren wegschrubbe. Denn dadurch halte ich das vorgesehene Zeitbudget nicht ein. Die Urinale übernimmt deswegen eine Kollegin.

Um 9 Uhr gibt es endlich den ersten Kaffee und ein Brötchen. 15 Minuten Pause in der Cafeteria, die zuvor von meinen Kollegen auf Zeit gereinigt wurde. Meine Hände jucken von den Handschuhen, obwohl ich sie morgens eingecremt hatte. Mein Vorarbeiter fragt, wer rauchen möchte. Ich verneine und sage, ich würde erst mal langsam meine Apfelschorle austrinken. Er wendet den Kopf zu mir und ich verbessere mich: „schnell austrinken“. Ich bin ja schließlich nicht Zuhause. Putzen – das hat für meinen Vorarbeiter mit professioneller Reinigung nichts zu tun. Er verwendet das Wort für seine Tätigkeit nicht. Reinigen setzt Techniken und Fachkenntnisse voraus, damit der Beruf 50 Jahre lang schnell, effizient und ohne Verletzungen ausgeübt werden kann. Und so gewöhne ich mir in dieser Schicht an, das Wort putzen zu vermeiden, muss mich aber manches Mal korrigieren.

Im Obergeschoss sind jetzt die Tische dran. Wie ein Scheibenwischer fährt meine rechte Hand mit einem hellblauen Wischtuch über die Tischplatte, an der bis zu acht Studenten Platz haben. Das geht schneller, als von links nach rechts einfach rauf und runter zu wischen. 15 Sekunden Zeit sind pro Tisch kalkuliert. Das funktioniert nur, solange nichts Klebriges auf der hellgrauen Platte gelandet ist. Sechs Tische schaffe ich in 3 Minuten und 30 Sekunden. 2 Minuten wären okay, und da sind schon die Wegezeiten mit eingerechnet. Ich schwitze.

Steigt das Tempo, sinken die Kosten. Etwa 85 Prozent der Aufwendungen in der Gebäudereinigung sind Personalausgaben. Deswegen gibt es in der Unterhaltsreinigung so viele Wischbewegungen wie vertraglich vereinbart. Das Großreinemachen – die so genannte Grundreinigung – kostet extra.

„Wir müssen uns ein bisschen beeilen“, sagt mein Vorarbeiter. Er benutzt das Wir, doch gemeint bin ich. Es muss „aufgestuhlt“ werden. 1.800 Stühle werden mit der Sitzfläche auf die Tische gestellt. 5 Sekunden sind dafür pro Stuhl kalkuliert. Das sind rechnerisch 30 Minuten pro Person. Die hellen Holzstühle haben ein Griffloch in der Lehne, doch wir drei Frauen greifen die Lehne mit beiden Händen und heben den Stuhl hoch. Das schont den Rücken, oder fühlt sich zumindest so an.

Auch im Obergeschoss kommt der Scheuer-Saug-Automat zum Einsatz. Doch nach der ersten Kurve ist für mich Schluss. Es muss schneller gehen als im Schildkrötengang. Ich nehme den Wischmopp und übe den S-Schwung. Dann steht die letzte große Prüfung an. Die Glasscheiben in den Türen müssen gereinigt werden. Konnte ich mich bislang mit meinem Haushaltshalbwissen so durchmogeln, punktet jetzt wieder der Profi. Mein Vorarbeiter schäumt die Scheiben ein und zieht mit schwungvollen Bögen ohne abzusetzen den Seifenschaum von den Fenstern. Er kleckst nicht, er hinterlässt keine Schlieren und er muss nicht nacharbeiten. Mit einem Wisch ist alles weg. Die übermannshohe Glastür schafft er in rund 20 Sekunden. Ich benötige mehr als eine Minute und verbessere mich mit seiner Hilfe auf etwa 50 Sekunden. Bei jeder Scheibe arbeitet er nach. Und dabei hatte ich das doch gestern in der Berufsschule mit den Azubis geübt. Die Glasreinigung zählte zu den beliebteren Jobs unter den Lehrlingen. Vielleicht, weil der Reinigungserfolg sofort strahlend sichtbar ist? Wenn ich selbst im Schlafanzug an einem Samstagmorgen die eigenen 50 Quadratmeter vom selbst erbrachten Schmutz befreie, hat das auch eine beruhigende Wirkung, denke ich. „Das ist doch kein Yoga hier!“, ruft die blonde Kollegin aus dem Hintergrund, als ich diese Überlegung zum besten gebe. Meine Hoffnung ruht auf dem Vorarbeiter. Woran er bei der Arbeit denke, frage ich. Er zögert einen Moment lang bevor er antwortet. „An nichts“, sagt er, dann „an den Feierabend.“

Köpfe

Christoph Gröner kann wieder frei über sein Vermögen verfügen

Acht Tage nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Privatvermögen von Christoph Gröner hat das Amtsgericht Leipzig seinen Beschluss wieder aufgehoben. Gröner kann nach Zahlung einer Millionensumme frei über sein Privatvermögen verfügen.

Köpfe

Michael Buchholz wechselt zu Gebag FE

Als Geschäftsführer steigt Michael Buchholz bei der Gebag Duisburg Flächenentwicklungsgesellschaft (Gebag FE) ein. Er kommt von Metroloq.

Köpfe

Rotthege ernennt Alexander Bongartz zum Partner

Rund ein Jahr nach seinem Wechsel zu Rotthege hat die Kanzlei den Fachanwalt Alexander Bongartz in die Riege ihrer Partner aufgenommen.