Hilfe - mein Ausbildungsbetrieb ist pleite!
Wenn der Ausbildungsbetrieb plötzlich Insolvenz anmeldet, muss der eigene Ausbildungsplatz nicht unbedingt gefährdet sein. Fällt er jedoch weg, so sollten Auszubildende schnell handeln, um ihre Ausbildung fortsetzen zu können. Unternehmen, die „Azubis in Not“ spontan helfen, brauchen keine bürokratischen Hürden zu nehmen.
Als Sabine K.* nach ihrem zweiwöchigen Urlaub durch das Metalltor auf die Büro-Villa zuging, wunderte sie sich: Ihre Kollegen saßen nicht an ihren Schreibtischen, sondern standen auf dem Hof und diskutierten. Ihr Ausbilder kam auf Sie zu und sagte: „Ich geb‘ dir ’nen Tipp: Such‘ dir eine neue Ausbildungsstelle!“ Das ließ sich die 21-Jährige, die gerade ihr erstes Ausbildungsjahr als Immobilienkauffrau abgeschlossen hatte, nicht zwei Mal sagen. Zumal ihr Ausbilder ihr zu verstehen gab, dass sich jetzt jeder um sich selbst kümmern müsse. Unsicher über ihre eigenen Rechte, setzte sie sich schnurstracks an ihren Schreibtisch, suchte im Internet nach Informationen, rief bei der IHK an („Die hatten noch nie so einen Fall!“) und meldete sich beim Berufsbildungswerk. Dann suchte sie im Internet nach anderen Immobilienunternehmen in der Region und rief rund 30 von ihnen an. Am nächsten Tag um 13 Uhr wurde ihr Betrieb dichtgemacht, um 15 Uhr hatte sie das erste Vorstellungsgespräch bei einem Maklerunternehmen.
Wie viele Auszubildende sich in einer ähnlichen Situation wie Sabine K. befinden, lässt sich schlecht ermitteln. Von den insgesamt 6.724 Auszubildenden zum/r Immobilienkaufmann/-frau bzw. zum Kaufmann/ -frau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft haben 2008 insgesamt 438 ihr Ausbildungsverhältnis vorzeitig gelöst. Welche Gründe dafür ausschlaggebend waren, führt das Statistische Bundesamt jedoch nicht auf. Sicherlich dürfte dabei auch das Thema Insolvenz eine Rolle gespielt haben. Denn allein 2008 werden 1.042 Insolvenzverfahren für Unternehmen aus dem Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen aufgeführt, bei denen es laut Statistik mindestens 1.167 Beschäftigte gab.
Insolvenz kein Kündigungsgrund
Wer von der drohenden Insolvenz seines Ausbildungsbetriebs weiß, sollte sich so schnell wie möglich mit der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK) oder der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Verbindung setzen, um sich beraten zu lassen. Prinzipiell gilt jedoch: „Weder eine drohende Insolvenz noch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens haben direkte Auswirkungen auf den Ausbildungsvertrag“, so Esther Hartwich, Leiterin des Referats für Bildungsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Zudem stelle eine drohende Insolvenz keinen Kündigungsgrund dar. „Erst nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, kann mit einer dreimonatigen Frist der Ausbildungsvertrag gekündigt werden“, so Hartwich. „Anders sieht es bei einer Betriebsstillegung aus, die berechtigt zu einer fristlosen Kündigung.“ Und erst dann könne der Auszubildende freigestellt werden. Andernfalls müsse er weiterhin an seinem Arbeitsplatz erscheinen.
Es bestehe jedoch die Möglichkeit, den Ausbildungsvertrag schriftlich zu lösen. „Wenn Unternehmen einen Aufhebungsvertrag aufsetzen, sollten sie Schadenersatzansprüche seitens des Auszubildenden ausschließen“, rät die Bildungsjuristin. Ist das Ausbildungsverhältnis beendet, hängt es von den länderrechtlichen Regelungen ab, ob der Auszubildende weiterhin die Berufsschule besuchen kann. Auf jeden Fall sollte er sich, sobald er von seinem Ausbildungsende Kenntnis hat, mit der BA in Verbindung setzen, da er Anspruch auf Arbeitslosengeld hat und sich arbeitssuchend melden muss.
Übernahme durch neuen Betrieb
Viel wichtiger dürfte jedoch für die meisten die Frage sein, ob und wie sie ihre Ausbildung fortsetzen können. Auch hier können die IHK, die BA und die Berufsschulen bei der Suche nach einem „Ersatzbetrieb“ helfen.
So war es auch bei der 21 Jahre alten Carola Pinior, die sich an ihren Vertrauenslehrer beim Europäischen Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ) in Bochum wandte, als ihr Ausbildungsbetrieb in Schwierigkeiten geriet. Der vermittelte den Kontakt zur VBW Bauen und Wohnen in Bochum. Dort bewarb sie sich und hatte Glück. Das 110-Mitarbeiter-Unternehmen bildet neun Jugendliche zu Immobilienkaufleuten aus. Nach einem verkürzten Auswahlverfahren konnte Pinior direkt zu dem neuen Unternehmen wechseln, verstärkt im dritten Ausbildungsjahr seit kurzem das Azubi-Team und muss sich nun schnell in die neuen Abläufe einarbeiten. „Wir hatten so einen Fall auch noch nie“, sagt Ausbildungsleiterin Daniela Conforti. Aber nachdem sie sich für die Aufnahme der neuen Bewerberin entschieden hatten, sei alles sehr schnell und problemlos gegangen. Das Ausfüllen der Unterlagen sei ein „Arbeitsaufwand von rund einer Stunde“ gewesen, so Conforti.
Damit sich mehr Unternehmen für diese unbürokratische Hilfsmaßnahme entscheiden, wurde im Krisenjahr 2009 der Ausbildungsbonus auch für die Gruppe der Auszubildenden aus insolventen Betrieben erweitert. Von Juli 2008 bis Juni 2010 wurden insgesamt 3.853 so genannte Insolvenzjugendliche gefördert, heißt es bei der BA. Die Höhe des Ausbildungsbonus (s. Tipp) richtet sich nach der tariflichen oder ortsüblichen Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr und kann zwischen 4.000 Euro und 6.000 Euro betragen. Die Zuschusshöhe wird anteilig gemäß der bereits zurückgelegten Ausbildungsdauer reduziert, wobei die reguläre Ausbildungsdauer berücksichtigt wird. Der Ausbildungsbonus wird in zwei Raten ausgezahlt, und zwar 50% nach Ablauf der Probezeit und 50% nach der Anmeldung des/r Auszubildenden zur Abschlussprüfung.
Bonus für Azubi-Helfer
Einen Ausbildungsbonus in Höhe von 2.400 Euro hat Cornelia Reichard, Prokuristin und Gesellschafterin von Kleinsteuber Immobilien in Darmstadt, erhalten. „Aber der Bonus war kein Entscheidungskriterium“, betont sie. Den Tipp zur Beantragung für diese Förderung bekam sie von der Auszubildenden selbst, die sie darauf aufmerksam gemacht hatte. Sie habe nur zwei Seiten ausfüllen müssen. Der Kontakt mit der BA, der IHK und der Berufsschule sei „völlig problemlos“ verlaufen, betont Reichard. Als die Auszubildende im Frühjahr 2010 auf das Unternehmen zukam, habe sie mit einer sehr, sehr guten Bewerbung das Interesse geweckt. Das Maklerhaus mit zwölf Mitarbeitern hatte erst im Jahr zuvor zum ersten Mal ausgebildet. Als der „Azubi in Not“ auch beim Probearbeiten überzeugte, wurde er zum 1. April dieses Jahres eingestellt. Und einen Monat später folgte auch ihre ehemalige Ausbilderin in das Unternehmen. (sma)
*Name von der Redaktion geändert. Die Betroffene sucht noch einen Ausbildungsplatz im Rhein-Main-Gebiet, vorzugsweise bei einem Maklerunternehmen.
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TIPP
Was bei der Insolvenz eines Ausbildungsbetriebs beachtet werden muss, darüber informiert die DIHK in einem Merkblatt (www.dihk.de/inhalt/ download/insolvenz_ausbildungsbetriebe.pdf). Nähere Informationen zur Förderung von Auszubildenden aus Insolvenzbetrieben gibt der Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit: 01801-66 44 66. Eine Informationsbroschüre steht zum Download bereit unter: www.arbeitsagentur.de/ zentraler-Content/Veroeffentlichungen/Ausbildung/AG-Flyer-Ausbildungsbonus. pdf. Zudem bieten auch einige Bundesländer weitere Förderungen an.