Aus Flüchtlingen werden Bau-Azubis
Das Bauunternehmen Wolff & Müller (W&M) sieht in der Flüchtlingskrise auch eine Chance. Gemeinsam mit Partnern hat W&M zwei Programme für die Qualifizierung von Flüchtlingen zu Bauhelfern und Auszubildenden aufgesetzt. Die Erfahrungen, die das mittelständische Unternehmen bisher mit seiner Initiative gemacht hat, sind zwar nicht durchweg positiv. Dennoch könnte sein Beispiel Schule machen.
Die Menschen, die Krieg, Terror und andere Geißeln der Menschheit in den vergangenen Jahren auch nach Deutschland getrieben haben, sind ja zumeist junge Männer. Junge Männer, die Arbeit suchen und denen eine Beschäftigung – zumindest für einige Jahre – einen Verbleib in Deutschland garantiert. Und der Bau, der bekanntlich boomt, hat nicht erst seit gestern ein Fachkräfte- und Nachwuchsproblem.
In der großen Anzahl potenzieller neuer Arbeitskräfte hat W&M schon früh eine Chance erkannt. Koordiniert wird das Team, das bei W&M extra für die Programme zur Flüchtlingsqualifizierung gebildet wurde, von Hans Schmid. Er ist Geschäftsführer von DQuadrat Real Estate, einer in Ludwigsburg ansässigen Projektentwicklungsgesellschaft, die mit der W&M-Gruppe verbunden ist. Wer Schmid zuhört, bekommt schnell ein Gefühl dafür, dass die Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt keine kleine Aufgabe ist.
„Es dauert im Schnitt sicher fünf Jahre, bis jemand wirklich auf dem deutschen Arbeitsmarkt angekommen ist“, sagt Schmid. Der Weg dahin ist nicht nur lang, sondern auch steinig: „Hürdenlauf mit künstlichem Gegenwind“, in dieses Bild kleidet er im Rückblick seine Erfahrungen mit einem System, „das derzeit weniger die Arbeit fördert als die Arbeitslosigkeit“.
Vor seinem Wechsel zu DQuadrat war Schmid zwölf Jahre lang Baubürgermeister von Ludwigsburg. Zu Beginn der Flüchtlingskrise vor zwei Jahren wandte er sich an das Jobcenter des Landratsamts Ludwigsburg: W&M wolle 20 Flüchtlinge für die Arbeit auf dem Bau qualifizieren. Die Kosten für Sprachkurse und die Ausbildung wolle das Unternehmen selbst übernehmen. „Im Landratsamt wurde mir dann schnell klargemacht, dass die Einstellung von Flüchtlingen mit vielen asylrechtlichen Fragen und arbeitsrechtlichen Hindernisse verbunden ist“, erinnert sich Schmid.
Und so tastete sich W&M zusammen mit dem Jobcenter des Landkreises an das Thema ran. Gemeinsam initiieren sie im Mai 2015 einen Bewerbertag. Dafür wurden geeignete Kandidaten identifiziert, die u.a. eine Arbeitserlaubnis mitbringen mussten. Um die 450 Personen wurden angeschrieben, etwa jeder Zehnte davon erschien auf dem Bewerbertag. 36 wurden für tauglich befunden, einer bekam direkt einen Praktikumsplatz und ist mittlerweile Jungbauleiter, einer sogar eine Ausbildungsstelle.
Um die anderen Bewerber, junge Männer aus Afghanistan, Syrien, Gambia oder Somalia, in ein reguläres Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis zu übernehmen, mussten sie vorher sprachlich und fachlich intensiv darauf vorbereitet werden. Zunächst setzte W&M gemeinsam mit Partnern ein viermonatiges Programm auf, das Flüchtlinge mit einer Arbeitserlaubnis für eine Tätigkeit als Bauhelfer qualifizieren sollte.
Von den 20 Flüchtlingen, die zwischen Juni und Oktober 2016 an dem Programm teilnahmen, entschieden sich 13 für ein Praktikum bei W&M. Fünf wurden am Ende direkt übernommen, ein weiterer wollte anschließend eine Ausbildung machen und fünf weitere heuerten woanders an. „Eingestellt hätten wir acht oder neun, aber einige wollten im Großraum Stuttgart bleiben und nicht an andere Standorte gehen, wo wir auch Leute brauchen.“
Das Bauhelferprogramm musste vorab zertifiziert werden, „damit wir jemandem beibringen dürfen, wie man mit einer Maurerkelle umgeht“, wie Schmid etwas spitz bemerkt. Die Zertifizierung übernahm der Internationale Bund, der den Kurs im Ausbildungszentrum Bau in Geradstetten im Raum Stuttgart auch durchführte – allerdings nicht im Auftrag von Wolff & Müller, sondern des Jobcenters Ludwigsburg.
„Wir waren zeitweise nur Zaungast“, erinnert sich Schmid. Bei Wolff & Müller wusste man lange Zeit nicht mal, wer im Bauhelfer-Kurs überhaupt sitzt. So wollte es der Datenschutz. Und weil die Teilnehmer sogenannte Bildungsgutscheine von der Agentur für Arbeit erhielten, musste der Kurs auch für andere Baufirmen aus der Region offen sein, obwohl W&M die Strukturen aufgesetzt hatte.
Jungen Flüchtlingen, die sich auf eine Ausbildung bei dem Unternehmen vorbereiten wollen, bietet W&M ein sogenanntes Einstiegsqualifizierungspraktikum (EQ) an. Das zwölfmonatige Programm ist Teil des Ausbildungspakts zwischen der Bauwirtschaft auf der einen und IHK, Arbeitsagentur und Jobcenter auf der anderen Seite. Es richtet sich insbesondere an förderungsbedürftige Jugendliche, zu denen auch Flüchtlinge zählen. Das Programm bereitet sie mit einem sogenannten nullten Ausbildungsjahr auf eine reguläre Ausbildung auf dem Bau vor.
Das EQ-Programm begann im November 2016 mit 13 Teilnehmern. Davon waren zwölf von einer Abschiebung bedroht. Aktuell läuft das achtmonatige Baustellenpraktikum. Die Teilnehmerzahl ist inzwischen auf neun Personen geschrumpft, u.a. wurde ein Teilnehmer abgeschoben, andere wollten lieber Mechatroniker werden. Sieben Teilnehmern hat W&M schon vorzeitig einen Ausbildungsvertrag gegeben. Zwei davon haben bereits einen Abschiebebescheid bekommen: „Wir hoffen, dass der Ausbildungsvertrag vor Gericht eine Auswirkung hat.“ Die anderen sechs wären, wenn ihr Asylgesuch bis zum Ausbildungsbeginn im September nicht negativ beschieden wird, fünf Jahre vor einer Abschiebung gefeit, wenn sie nach der Ausbildung übernommen werden. Erst danach würde ihr Status erneut überprüft.
Die Agentur für Arbeit kommt nur für einen Teil der Kosten auf. Den anderen Teil trägt die von W&M gegründete Wolfgang-Dürr-Stiftung. „Die Stiftung übernimmt für unser Flüchtlingsprojekt einen fünfstelligen Betrag. Die Personalkosten bei mir und meinen an dem Projekt beteiligten Kollegen müsste man noch dazurechnen“, sagt Schmid. Die Sozialkassen der Bauwirtschaft (Soka-Bau) bezahlen u.a. den Sozialarbeiter, der das Projekt begleitet.
W&M will in den nächsten Wochen entscheiden, ob die beiden Programme eine Neuauflage erfahren. Gründe, die dagegen sprächen, gibt es leider genug: „Der Organisations-, Verwaltungs- und Kommunikationsaufwand ist immer noch hoch“, resümiert Schmid. Die Flüchtlinge selbst hätten zum Großteil falsche Vorstellungen vom deutschen Arbeitsmarkt und den Anforderungen hierzulande. Nicht zu unterschätzen sei der Erwerb von Sprachkenntnissen als Schlüsselqualifikation.
Und dass sich eine Ausbildung in Deutschland lohnt, aber erst, wenn sie nach drei Jahren abgeschlossen ist, und bis dahin eine Durststrecke zu absolvieren ist, ist nicht allen Flüchtlingen zu vermitteln. Viele wollen lieber, wenn sie schon arbeiten gehen, gleich ordentlich verdienen, als mit einer Ausbildung den Grundstein für einen guten Lohn in der Zukunft zu legen. „Der Azubi-Lohn liegt nur 75 Euro über der Sozialhilfe. Und anders als deutsche Azubis haben Flüchtlinge normalerweise ja keine Verwandten, die sie finanziell unterstützen“, zeigt Schmid Verständnis.
Auch die rechtlichen Hürden seien enorm. Als Beispiel nennt Schmid die Wohnsitzauflage in Baden-Württemberg, derentwegen W&M landkreis- und länderübergreifend bei der Ausländerbehörde um Erlaubnis fragen muss, wenn die Flüchtlinge auf einer auswärtigen Baustelle arbeiten und übernachten sollen. Die extrem langen Verfahrenszeiten bei der Asylbearbeitung führten dazu, „dass man Leute motiviert und ausbildet, die dann oftmals über Nacht abgeschoben werden sollen“, sagt Schmid, der trotzdem guter Dinge ist, die Programme fortsetzen zu können.
Andere Arbeitgeber aus der Bauwirtschaft können auf jeden Fall von den Erfahrungen und dem Wissen, das Schmid und sein Team gesammelt haben, profitieren: W&M habe eine Art Handbuch für mögliche Nachahmer geschrieben, berichtet der Teamleiter. Ein großer Baukonzern, verrät er noch, habe bereits angeklopft, um hineinschauen zu dürfen.