Attraktivitätsschub per Zeitwertkonto
Benefit. Zeitwertkonten verschaffen Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen Überblick über geleistete Überstunden und bieten Flexibilität für Auszeiten, was die Karriere- und Personalplanung erleichtert. So können Unternehmen aus der Wohnungswirtschaft in Zeiten des Fachkräftemangels neue Mitarbeiter anlocken.
Ob in Stressphasen rund um die Annahme eines neuen Projekts im Development oder in Zeiten, in denen sich abendliche Eigentümerversammlungen bei WEG-Verwaltern häufen: In den Tätigkeitsfeldern der Immobilienwirtschaft kommt es immer wieder zu Wochen, in denen sich Überstunden nicht vermeiden lassen. Die EU-Regelung zur Arbeitszeiterfassung hat dazu geführt, dass in immer mehr Unternehmen diese Zusatzzeiten überhaupt erst erfasst werden, denn sie besagt, dass seit September 2023 Start- und Endzeit einer Schicht sowie eingelegte Pausen von jedem Arbeitnehmer täglich festgehalten werden müssen. Können diese nicht zeitnah abgebaut werden, wandern sie auf Überstundenkonten, was mit Blick auf die entsprechende Bilanz für Unzufriedenheit sorgen kann.
Die Gewerkschaften Verdi und IG Bau haben deshalb zusammen mit dem Arbeitgeberverband der deutschen Immobilienwirtschaft (AGV) einen Tarifvertrag für die Wohnungswirtschaft geschaffen, der es Arbeitgebern ermöglicht, ein sogenanntes Zeitwertkonto für ihre Mitarbeiter einzurichten. Es soll zum einen für Transparenz über diese Hocharbeitsphasen sorgen, zum anderen dazu dienen, dass die Überstunden fair erfasst werden und die Motivation unter der Mehrarbeit nicht leidet. Davon sollen vor allem Segmente wie die Hausverwaltung profitieren. Denn in diesem Feld führt der anhaltende Fachkräftemangel dazu, dass bestehende Mitarbeiter selten alle Aufgaben im vorgesehenen Zeitrahmen schaffen. Laut Branchenbarometer des Verbands der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV) erwarten 94% der Unternehmen eine weitere Verschärfung dieser Situation. Dabei sind es gerade die vielen Überstunden, die den Beruf für Nachwuchskräfte unattraktiv machen und dazu führen, dass weniger geeignete Mitarbeiter nachrücken.
„In vielen anderen Branchen ist das Modell des Zeitwertkontos nicht unbekannt. Es existiert schon seit rund zwanzig Jahren“, erklärt Thomas Haßlöcher. Er ist Geschäftsführer von Pens Legal, einer spezialisierten Tochtergesellschaft von Pens Expert, die die rechtliche Beratung im Bereich der betrieblichen Vorsorge übernimmt und seit April zusammen mit der Aareal Bank das Modell des Zeitwertkontos für mittelständische Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft anbietet. Haßlöcher schätzt, dass branchenübergreifend rund 15% der deutschen Unternehmen das Prinzip schon kennen, bei den meisten handle es sich jedoch um Großkonzerne. Dass Zeitwertkonten in den Firmen der Immobilienwirtschaft noch weitestgehend unbekannt sind, merkte er in den bisherigen Gesprächen mit Kunden.
„Entscheidet sich ein Unternehmen für die Einführung eines Zeitwertkontos für seine Mitarbeiter, müssen zunächst die Spielregeln festgelegt werden. Und die können je nach Unternehmen sehr individuell ausfallen“, erklärt Haßlöcher. So muss der Arbeitgeber entscheiden, was genau auf das Konto eingezahlt werden kann. Klassischerweise sind das Entgelte von Überstunden oder Boni, die der Arbeitnehmer nicht mit seiner laufenden Gehaltsabrechnung ausgezahlt bekommt. Sie werden dann auf einem Treuhandkonto verwaltet und können dem Arbeitnehmer später ausbezahlt werden, etwa wenn er ein Sabbatical plant, früher in den Ruhestand eintreten will, eine Auszeit für die Pflege von Angehörigen oder eine verlängerte Elternzeit braucht. Auch diese Möglichkeiten sowie ihre genauen Rahmenbedingungen wie etwa Vorlaufzeiten für die entsprechende Personalplanung muss der Arbeitgeber entsprechend seinen Kapazitäten festlegen. Er hat dann den Vorteil, dass Mitarbeiter, die früher in Rente gehen, bereits bezahlt sind und somit das Budget für neues Personal frei wird.
„Besonders in Ballungszentren wechseln Mitarbeiter schneller den Arbeitgeber, wenn sie bei einem Wettbewerber bessere Konditionen oder flexiblere Arbeitszeiten vorfinden. Um das zu verhindern, muss ein Arbeitgeber sich flexibel zeigen, attraktiv gestalten und dabei über den Tellerrand hinausschauen, ohne sich zu verbiegen“, sagt Thomas Danz, Head of Sales, Process & Sales Management Banking & Digital Solutions bei der Aareal Bank. Für ihn sei das Angebot eines Zeitwertkontos deshalb als ein Benefit durch den Arbeitgeber zu werten und kann Teil des Employer-Brandings sein. „Gerade junge Arbeitnehmer suchen verstärkt nach Flexibilität in der langfristigen Karriereplanung. Gleichzeitig spielt das Thema Vorsorge eine wichtige Rolle bei allen Arbeitnehmern“, betont er. Für Letzteres sei das Zeitwertkonto besonders geeignet, wenn es über einen langen Zeitraum läuft, „denn dann sammeln sich über die lange Laufzeit viele Tage an, bei denen Überstunden nicht verloren gehen, und die kapitalisierten Stunden werfen darüber hinaus eine attraktive Rendite ab“, erklärt er. Gerade bei Arbeitgebern, die nach jungen Kräften Ausschau halten, sei die Option, das Zeitwertkonto für ein Sabbatical nutzbar zu machen, inzwischen eine relevante Option.
Zudem sei das Geld auf besondere Weise geschützt. Während Überstunden im Fall der Fälle Teil der Insolvenzmasse sind, ist das eingelagerte Budget auf einem Treuhandkonto auch bei einer Insolvenz des Arbeitgebers gesichert. Bei einem Arbeitgeberwechsel kann das Zeitwertkonto übertragen werden. Bietet der neue Arbeitgeber das nicht an, springt in vielen Fällen die Deutsche Rentenversicherung ein, erklärt Haßlöcher. „Hier ist rechtlich geregelt, dass bei gesetzlichen Freistellungszwecken auch darauf zurückgegriffen werden kann.“ Zudem sei das Vermögen auf dem Zeitwertkonto frei vererbbar, was es von einer betrieblichen Altersvorsorge unterscheidet, da diese nur an enge Angehörige weitervererbt werden kann.
Um Transparenz über das Konto zu schaffen, stellen Anbieter wie Pens Expert eine spezielle App zur Verfügung. Dabei werden die eingezahlten Stunden direkt an die HR-Software gekoppelt, sodass aus der Gehaltsabrechnung klar hervorgeht, dass ein Entgelt auf das zusätzliche Konto eingezahlt wurde. Für den Arbeitgeber bedeutet das einen Überblick darüber, wer aus der Belegschaft zuletzt wie viele Stunden angesammelt hat, woraus sich die zukünftige Verfügbarkeit ableiten lässt. Umgekehrt kann der Arbeitnehmer über das digitale Tool jederzeit einsehen, wie viel er auf seinem Konto bereits angespart hat.
Eine Analyse der Personalstrategie ist nötig
Weil die genaue Ausgestaltung des Modells an die Bedürfnisse und Kapazitäten des Arbeitgebers angepasst werden kann, ist der Einsatz auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen möglich. Die Flexibilität verlangt aber auch nach einer genauen Analyse der eigenen Personalstrategie. „Je nachdem, ob es um ein Problem mit Überstunden geht, darum, dass ein Großteil der Belegschaft einen Job nicht bis zum Renteneintrittsalter durchhält, oder ob man sich durch das Angebot von flexibler Arbeits- und Karriereplanung für neue Mitarbeiter attraktiv machen will, können die Rahmenbedingungen des Zeitwertkontos ganz individuell angelegt werden. Dazu ist eine ausführliche Beratung unabdingbar“, betont Danz. Im Gegenzug biete die Einführung von Zeitwertkonten aber auch Vorteile für die langfristige Personalplanung. Wenn klar ist, dass ein Mitarbeiter genügend angespart hat, um vorzeitig in Rente zu gehen, kann der Arbeitgeber sich nach neuem Personal umsehen. Der frühere Mitarbeiter behält seinen Angestelltenstatus, solange er sich das Konto auszahlen lässt, die Kosten des Arbeitgebers sind dann jedoch schon bezahlt.