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Architektonischer Eigensinn hat Tradition bei Patzschkes

Als die Zwillingsbrüder Rüdiger und Jürgen Patzschke vor 50 Jahren ihr Büro gründeten, hatten sie sich einer Architektur jenseits des damaligen Mainstreams verschrieben. Statt glatter Rasterfassaden schufen sie Häuser im klassischen Stil. Damit ernteten sie bei Architekturkritikern reichlich Häme. Das galt vor allem für ihr bis heute bekanntestes Bauwerk, das Hotel Adlon Kempinski in Berlin. Die Zwillinge blieben ihrem Stil treu und ihr Büro, das inzwischen mehrere ihrer Kinder fortführen, läuft heute besser denn je. Die Immobilien Zeitung sprach mit den 80-jährigen Brüdern und Rüdiger Patzschkes Sohn Robert über ihre Karriere, architektonischen Eigensinn und das Glück, damit nicht allein zu sein.

Martina Vetter
04. Oktober 2019
Quelle: Patzschke Architekten; Urheber: Waldemar Salesski

Immobilien Zeitung: Das Hotel Adlon ist Ihr bekanntestes und zugleich umstrittenstes Bauwerk. Wie kamen Sie zu dem Auftrag?

Rüdiger Patzschke: Otto Walterspiel von Kempinski suchte damals nach Architekten für den Neubau des Adlons. Er wollte keine Replik, aber ein Gebäude, das in der Anmutung an das alte Adlon erinnert. Bevor er auf uns zukam, hatte er sich schon die Ideen mehrerer namhafter Büros angesehen und durch die Bank Entwürfe mit Lochfassaden und wenig repräsentativen Eingängen erhalten. Wir lieferten ihm drei Entwürfe, von denen einer genauso gebaut worden ist, wie wir ihn gezeichnet haben.

IZ: Sie haben mit der Hand gezeichnet?

Jürgen Patzschke: Ja, das machen wir in der Entwurfsphase bis heute so. Eine Fassade bekommt einen ganz anderen Charakter, wenn man mit der Hand zeichnet und nicht einfach ein Raster in einen Computer eingibt.

IZ: Für das im traditionellen Stil gebaute Adlon sind Sie von Architekturkritikern sehr angefeindet worden. Wie hat sich das ausgewirkt?

Jürgen Patzschke: Wir haben viel Honorar für das Adlon bekommen, aber danach gab es erst einmal fünf Jahre lang keine Aufträge.

IZ: Und wie haben Sie weitergemacht?

Rüdiger Patzschke: Unbeirrt. Wir waren Überzeugungstäter. Wir wollten nicht teilhaben an einer Architektur, die eine Stadt unpersönlich und unbewohnbar macht.

IZ: Woher kam diese Überzeugung?

Jürgen Patzschke: Als wir als junge Menschen mitbekommen haben, dass der Stuck von den Fassaden der Gründerzeithäuser abgeschlagen worden ist, waren wir entsetzt. Wir empfanden es als eine Art architektonische Bücherverbrennung. Da sind Kulturen abgeschlagen worden!

Rüdiger Patzschke: Im Studium war das Bauhaus das Maß aller Dinge, so als hätte es zuvor keine Architektur gegeben. Und in der Stadtplanung herrschte das Denken vor, dass man Arbeiten und Wohnen trennen müsse. Wir fanden es dagegen wunderschön, in einem Wohnviertel in Zehlendorf zu arbeiten, wo wir bis heute unser Büro haben. Dass man die historische europäische Stadt als positiv empfinden konnte, diese Gedankengänge gab es damals nicht. Heute fahren alle Leute gerne in alte Städte und die Menschen leben am liebsten in intakten historischen Stadtvierteln.

IZ: Wie haben Sie es geschafft, sich gegen die damals vorherrschende Architekturauffassung durchzusetzen?

Rüdiger Patzschke: Hermann Hesse hat einen wunderbaren Aufsatz über Eigensinn verfasst, in dem es darum geht, sich von den Erwartungen des Umfelds freizumachen und seinen eigenen Sinn zu entdecken und dazu zu stehen. Für uns war es leichter, unseren Eigensinn zu verteidigen, weil wir zu zweit waren und sind. Der doppelte Eigensinn hat uns sehr geholfen.

Jürgen Patzschke: Wer allein ist und eine Architektur durchsetzen will, die vom Mainstream abweicht, der hat schlechtere Karten als zwei, die sich den Rücken stärken. Allein hätten wir nicht gegen den ganzen Architekturkult der Moderne bestehen können.

Robert Patzschke: In der modernen Architektur wird immer alles intellektualisiert. Stadträume und Lebensräume zu erhalten und zu schaffen, das ist das, was uns wichtig ist. Wir haben in Berlin-Mitte um die 30 Gebäude errichtet, an denen die meisten Leute vorbeilaufen, ohne sie bewusst wahrzunehmen, weil sie sich nicht in den Vordergrund drängen. Aber sie fühlen sich wohl, weil wir bei unserer Architektur auf Elemente zugreifen, die sich bewährt haben und daraus eine eigene Schöpfung kreieren.

IZ: Stört es Sie nicht, wenn Architekturkritiker lästern?

Robert Patzschke: Nein. Es ist viel wichtiger, wie die Architektur auf die Menschen wirkt. Jeder Mensch hat ein Gefühl, eine Assoziation oder ein Erlebnis, wenn er irgendwo entlangläuft. Und deshalb ist jeder Mensch ein berechtigter Architekturkritiker.

Jürgen Patzschke: Neotraditionalisten wie wir reflektieren am besten, was die Menschen wollen. Sie wollen einen Wiedererkennungseffekt und ein Wohlgefühl. Wir haben von Anfang an so gebaut, wie wir es für richtig hielten, und haben uns nicht dem Zeitgeist unterworfen. Bei Umfragen lagen wir immer weit vorn, auch wenn Architekturkritiker anderer Meinung waren.

Rüdiger Patzschke: Inzwischen gibt es Untersuchungen über die Wirkung monotoner, großflächiger Fassaden auf die Psyche (siehe „Diese Architektur tut nicht gut“, IZ 33/2018, Seite 1).

Das Institut für Wohn- und Arbeitspsychologie hat beispielsweise empirisch bewiesen, dass solche Fassaden die Menschen stressen, während kleinteilig strukturierte, abwechslungsreich gestaltete Fassaden sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken. Das ist natürlich eine tolle Bestätigung für uns. Mittlerweile gibt es auch immer mehr Architekten, die sich rückbesinnen. Manche von ihnen bauen traditioneller als wir. Und inzwischen haben wir Entwickler wie Bauwert oder Diamona & Harnisch gefunden, die unsere Auffassung von Architektur teilen.

IZ: Wie sind Sie beiden eigentlich zu ihrem Beruf gekommen? Wollten Sie schon immer Architekten werden?

Jürgen Patzschke: Nein, als Kinder wollten wir Förster werden (lacht). Während des Zweiten Weltkriegs war unsere Mutter mit uns und unserem älteren Bruder in der Uckermark evakuiert, weil es in Berlin zu gefährlich war. Wir sind in Joachimstal eingeschult worden und haben dort, so schlimm das klingt, die sonnigste Zeit unserer Kindheit verbracht. Da war Wasser und Wald, wir suchten Maikäfer und fuhren mit dem Leiterwagen zur Schule.

Rüdiger Patzschke: Bei einem unserer Streifzüge landeten wir vor einem Anwesen, das uns sehr beeindruckte. Dort trafen wir auf den Förster, der uns das Haus zeigte und so tat, als ob es seines wäre. Wir dachten, Förster muss ein toller Beruf sein: Man kann immer im Wald sein und in einem so schönen Haus wohnen. Später erfuhren wir, dass es sich bei dem Haus um Carinhall, den Landsitz von Reichsmarschall Hermann Göring gehandelt hatte. Den Förster redete uns unsere Mutter übrigens genauso aus wie den Wunsch, Landschaftsgärtner zu werden: „Wenn die Zeiten schlecht sind, werden in Parks Radieschen und Kohlrabi gepflanzt“, sagte sie.

IZ: Haben Sie schlechte Zeiten erlebt?

Jürgen Patzschke: Ja, wir haben sehr schlechte Zeiten erlebt. Als die Ostfront näherrückte, machte sich unsere Mutter mit uns auf den Weg nach Berlin. Dort erst begriffen wir das Elend des Krieges. Das Haus, in dem wir gewohnt hatten, war zerstört, unser Vater tot und unsere Mutter wusste nicht, wie sie uns satt bekommen sollte. Wir bettelten damals in der Nachbarschaft um Kartoffelschalen, aus denen unsere Mutter eine Art Puffer machte, damit wir was zu essen hatten.

IZ: Wie kamen Sie dann zur Architektur?

Rüdiger Patzschke: Das lag ziemlich nah, schon unser Vater und unser Großvater waren Architekten.

IZ: Was war das erste größere Projekt, das Sie gemeinsam gebaut haben?

Jürgen Patzschke: Das war ein Einkaufzentrum mit Restaurants, Boutiquen und einem Theater in Bahia Feliz auf Gran Canaria. 1969, das Jahr, in dem wir unser gemeinsames Büro angemeldet haben, begannen die Planungen. Statt mit Spiegelglasscheiben wie sie damals Mode waren, haben wir das Ganze im Stil eines Bazars mit Rundbögen, weiß getünchten Mauern, Kolonnaden und einem zentralen Platz gebaut. Diese Anlage ist gut angekommen und blüht bis heute. Das war für uns sehr selbstbewusstseinsfördernd!

IZ: Sie haben auch in vielen anderen Ländern gebaut, vor allem in Indien. Wie kam es zu diesen Projekten?

Jürgen Patzschke: Das war eigentlich ein Zufall. Mitte der 60er hatte ich vor, von Istanbul aus nach Abu Simbel zu reisen, um beim Wiederaufbau der Tempel mitzuarbeiten, die für den Bau des Assuan-Staudamms abgetragen worden waren. Doch ich kam zu spät in Istanbul an. Zurück nach Hause fahren wollte ich aber auch nicht, nachdem ich groß getönt hatte, ich mache beim Abu Simbel mit, also reiste ich weiter Richtung Indien.

IZ: Sie sind dort länger geblieben?

Jürgen Patzschke: Nein, aber wir haben zusammen mit unseren Familien viel Zeit dort verbracht und waren fast jedes Weihnachten in unserem ehemaligen Plantagenhaus im heutigen Goa. Einige unserer engsten Freunde sind Inder, das sind wunderbare Menschen.

Robert Patzschke: Ich war mit 17 für ein Jahr auf einem Internat in Indien und dort der einzige Nicht-Inder. Auch ich liebe das Land und die Menschen. Frisch vermählt und gleich nach dem Studium bin ich dann 2005 zusammen mit meiner Frau nach Indien aufgebrochen, um eine Dependance unseres Büros aufzubauen. Wir haben fast zehn Jahre in Indien gelebt.

IZ: Sie haben mittlerweile gemeinsam mit den Söhnen Robert und Till-Jonathan und ihren Partnern Michael Mohn und Christoph Schwebel nicht nur zwei Ateliers mit zusammen etwa 60 Mitarbeitern in Berlin und eine Dependance in Indien, sondern auch in Paris. Wie kam es dazu?

Jürgen Patzschke: Meine Tochter Tatjana lebt in Paris und betreibt dort ein kleines Büro. Auch mein Sohn Till-Jonathan ist Architekt und arbeitet in dem Berliner Atelier in der Pfalzburger Straße. Und mein Jüngster Thaddäus tritt ebenfalls in unsere Fußstapfen. Neben seinem Masterstudium arbeitet er in unserem Atelier am Bahnhof Grunewald.

IZ: Das klingt so, als könnte es das Büro von Patzschke & Partner Architekten auch in den nächsten 50 Jahren noch geben! Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führt Martina Vetter.

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