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Der Architekt des Kaufhaus-Königs erinnert sich

Eine Banane zum Mittagessen und täglich eine Stunde Sport: Walter Brune tut alles, um sich Fitness und Schaffenskraft zu erhalten. Auch mit 83 Jahren steckt der Architekt und Immobilienunternehmer voller beruflicher Ambitionen. Unlängst hat er ein Ferienresort in Brandenburg fertiggestellt, jetzt baut er wieder einmal auf der Kö. Im Interview mit der IZ blickt Brune zurück in eine Zeit, die ihn geprägt und groß gemacht hat – die Jahre, da man mit Kaufhäusern noch viel Geld verdienen konnte. Und er sagt, wie ein innerstädtisches Einkaufszentrum seiner Ansicht nach aussehen muss.

Christoph von Schwanenflug
30. Juli 2009
Bild: Walter Brune
Immobilien Zeitung: Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Kaufhaus?

Walter Brune: 1958 war das, in Bremerhaven. Eine Sensation damals. Ich habe viele Dinge auf den Kopf gestellt und Sachen gemacht, die später jahrzehntelang in Deutschland so gehandhabt wurden. Große verglaste Eingänge, alles transparent, die Eingänge in den richtigen Gebäudeecken.

IZ: Sie haben danach noch rund ein Dutzend Kaufhäuser gebaut, u.a. für Karstadt, Horten und Kaufring. Warum war plötzlich Schluss?

Brune: Anfang der 1970er Jahre war der Boom vorbei. Der Bedarf war gedeckt und die besten Lagen in den Städten waren bebaut. Die Kaufhäuser investierten nicht mehr sehr viel, auch weil sie merkten, dass die Umsätze zurückgingen.

IZ: Das heißt, Sie als Architekt haben die Kaufhauskrise schon vor 40 Jahren gespürt.

Brune: So ist es.

IZ: Hätten Sie gerne weiter Kaufhäuser gebaut?

Brune: Klar, Kaufhäuser bauen war immer ein großer Spaß und auch eine Herausforderung. Wir haben viele herrliche Sachen gebaut. Ich bin heute noch sehr stolz darauf. Das letzte große Kaufhaus für Karstadt habe ich Anfang der 70er Jahre im Rhein-Ruhr-Zentrum gebaut. Seitdem habe ich von Karstadt keine Aufträge mehr bekommen, weil kaum Projekte mehr neu anstanden.

IZ: Krönung Ihrer Arbeit für Karstadt war 1972 der Bau der Unternehmenszentrale in Essen. Die Verhandlungen um Ihr Honorar waren angeblich recht schwierig.

Brune: Der damalige Vorstand Walter Deuss erwartete 15% Nachlass von mir. Ich lehnte unter Verweis auf die Gebührenordnung ab. „Das müssen Sie machen, sonst können wir das Gespräch beenden“, erklärte Deuss. Ich sollte 5% zurückbekommen, wenn ich die Termine halte, 5%, wenn ich die Kosten halte und 5%, wenn das Gebäude ohne Reklamationen abgenommen wird. Die 15% habe ich kassiert.

IZ: Sie sind offenbar ein Architekt, der gut kalkulieren kann.

Brune: Ich kann gut rechnen. Mein Vater, er war auch Architekt, sagte zu mir: „Das Wichtigste ist, dass Du Vertrauen kriegst, weil Du mit Zahlen umgehen kannst.“ Deshalb habe ich stets darauf geachtet, kreatives Denken mit einem verantwortungsbewussten Umgang mit Zahlen zu kombinieren.

1972, es geht bergab

IZ: Der Auftrag in Essen wäre Ihnen aber dennoch fast noch durch die Lappen gegangen.

Brune: Stimmt. Die Stadt Essen wollte einen Wettbewerb und einige berühmte Architekten. Karstadt aber wollte mich. Also drohten sie damit, nach Düsseldorf zu gehen. Am Ende habe ich die Hauptverwaltung gebaut, mit allen Einrichtungen. Bis zum Schreibtisch des Vorstandsvorsitzenden habe ich alles gestaltet. Das war 1972, der Höhepunkt von Karstadt. Danach ging es mit den Kaufhäusern und deren Umsätzen relativ schnell bergab.

IZ: Was waren die Gründe?

Brune: Zunächst war es ganz natürlich, dass der Kaufhaus-Boom zu Ende ging, wenn alle etwas größeren Städte mit oft zwei bis drei Kaufhäusern schon zu viel Verkaufsfläche besaßen. Dann gab es seit Kriegsende einen allgemeinen Lohnnachholbedarf, der den Kaufhäusern bei 5% bis 9% Lohnerhöhung nur 3% bis 4% Mehrumsatz brachte. Seit Anfang der 70er Jahre glich der Mehrumsatz dann nur noch die Inflation aus. Man spürte 25 Jahre nach Kriegsende auch eine Bedarfsdeckung, besonders bei Kleidung und Einrichtungsgegenständen. Auch die Einkaufsmentalität änderte sich. Man kaufte lieber in Fachgeschäften, die in Märkten außerhalb der Stadt entstanden. Und für den Billigeinkauf gab es die Discounter.

IZ: Auf welche Karstadt-Häuser sind Sie besonders stolz?

Brune: Goslar, Hamburg-Wandsbek, Hamburg-Harburg. Auch Bremerhaven war ein tolles Projekt.

IZ: Zu den Personen, an die Sie besonders lebendige Erinnerungen haben, zählt Helmut Horten, der Kaufhaus-König. Erzählen Sie uns von ihm.

Brune: Ein dynamischer Mensch. Auch aggressiv. Bei ihm musste man aufpassen.

IZ: Sie haben ihm als junger Architekt 1956/1957 eine Villa gebaut.

Brune: Es war kein Haus, es war ein Gebäudekomplex. 100 Meter lang mit Tanzsaal, Kino und Schwimmhalle. Hat damals schon viele Millionen Mark gekostet. Die Räume waren riesig, die Türen raumhoch. Goldintarsien. Prunkvoll, aber modern. Zwei Etagen. Ein fantastisches Haus. Das Kino mit Bühne. Da hat er in Wien angerufen und ein paar nette Mädchen einer Tanzgruppe kommen lassen. Die haben dann getanzt. Kurz nach dem Anruf.

IZ: Steht das Haus noch?

Brune: Nein. Als Horten aus Deutschland weggezogen ist, war keiner in der Lage, so ein Haus zu beziehen. Die Stadt Düsseldorf hat es gekauft und abreißen lassen. An seiner Stelle wurden 30 Einfamilienhäuser gebaut.

IZ: Hortens Fußstapfen waren für die Nachwelt zu groß.

Brune: Er hat einen ungeheuren Lebensrahmen gespielt. Einmal hatte er ein paar Leute eingeladen. Er wollte essen gehen. Einer schlug den Breidenbacher Hof vor. „Nee, nee“, sagte Horten, „ich würde gerne nach Paris.“ Er nahm den Hörer ab. „Machen Sie die Maschine fertig, wir kommen in einer halben Stunde.“ Eineinhalb Stunden später saßen wir in einem Restaurant auf den Champs-Élysées.

IZ: Wie konnte Horten in so kurzer Zeit so groß werden?

Brune: Horten hatte 1954 in Duisburg sein erstes Kaufhaus. Das Geschäft hatte er 1936 von einem jüdischen Kaufmann übernommen, der Deutschland verlassen musste. Nach dem Krieg hat der Mann Horten angeschrieben. „Lieber Herr Horten, ich habe Ihnen das Geschäft damals zu billig verkauft, es gibt das Entschädigungsgesetz, ich hätte gern noch einen Nachschlag von soundsoviel Millionen.“ Horten nahm einen Scheck, schrieb den geforderten Preis hinein und schickte ihn nach New York. Hortens Verhalten sprach sich in New York herum, wo noch andere jüdische Emigranten lebten, die ihre Kaufhäuser, meistens Textilhäuser, während der Nazizeit ebenfalls verkaufen mussten. Er hatte durch sein Verhalten bei der ersten Anfrage Vertrauen geweckt. So kaufte Horten nach und nach mehrere Kaufhausgesellschaften, u.a. Köster, Merkur und DeFaKa.

Horten schmiedet einen Konzern

IZ: Aus diesen Gesellschaften schmiedete er den Horten-Konzern?

Brune: Ja. Er hat mir mal folgende Geschichte erzählt. Nach dem Kauf von DeFaKa ließ er deren Direktoren kommen. „Meine Herren“, sagte er, „ich hab DeFaKa gekauft. Wir werden alle Häuser neu bauen. Ich möchte jetzt von Ihnen etwas zu den einzelnen Standorten hören. Wer sagt etwas zu Bremen?“ Der betreffende Direktor trat vor und warnte: „Da habe ich ganz große Bedenken, wir haben ja nur ein Geschoss, die oberen Etagen sind zerstört und der Umsatz in diesem Geschoss ist schon viel zu gering gegenüber den Kosten“ etc. Horten hörte sich das an und bat den Herrn, auf einer Seite Platz zu nehmen. Als nächstes kam Hamburg an die Reihe. Der Direktor zeigte sich begeistert von Hortens Plänen. „Setzen Sie sich bitte hierhin“, sagte Horten zu ihm. So ging es reihum. Am Ende saßen sechs Direktoren auf der linken Seite, 13 auf der rechten. Da zeigte Horten auf die rechte Seite und sagte: „Das sind die Herren, die mit mir arbeiten wollen, die meine Gedanken positiv aufnehmen. Das sind die Herren der Zukunft. Die anderen gehen bitte zur Personalabteilung und holen sich ihre Papiere.“

IZ: Bereits Ende der 60er Jahre verkaufte Horten seinen Konzern in zwei Tranchen und zog mit seiner Frau Heidi in die Schweiz. Dort sollten Sie ihm in den 1980er Jahren noch einmal eine riesige Villa bauen.

Brune: Das Grundstück am Genfer See gehörte Gunter Sachs. Horten besaß eine Kaufoption. Ich sehe ihn noch neben seiner Frau stehen, den Arm um sie gelegt. „Hier baue ich Dir Dein Paradies. Wenn ich nicht mehr da bin, sollst Du hier residieren.“

IZ: Zum Bau dieser Villa ist es allerdings nie gekommen.

Brune: Leider. Einen Tag vor Silvester hat Horten mich angerufen. „Wir bauen nicht!“ sagt er. „Nicht möglich“, entgegne ich, „die Bagger stehen schon auf dem Grundstück. Wir fangen am Montag an. In Paris habe ich schon die Möbel eingekauft. Die Stoffe, Keramik, Malereien, alles fertig“. Doch er sagte nur: „Wir bauen nicht! Ich zahle alles!“

IZ: Was war passiert?

Brune: Acht Tage später bekam ich eine Bild-Zeitung. Da stand drin: Heidi Horten sei plötzlich sehr krank. Mehr weiß ich auch nicht.

Rhein-Ruhr-Zentrum, ein Fehler

IZ: Nach den Warenhäusern kamen die Einkaufszentren. 1973 eröffnete das von Ihnen entworfene Rhein-Ruhr-Zentrum, eine, wenn nicht gar die erste große überdachte Einkaufsmaschine außerhalb einer deutschen Stadt. Würden Sie das RZZ noch einmal bauen?

Brune: Natürlich nicht.

IZ: Warum nicht?

Brune: Weil ich als Architekt nichts machen möchte, was den Menschen schadet.

IZ: Können Sie das näher erklären?

Brune: Das RRZ war als Ober-Einkaufszentrum für das Ruhrgebiet gedacht, als Alternative zu städtischen Einkaufszonen. Das ganze Ruhrgebiet sollte dort an einem Regentag oder als Einkaufsalternative unter einem Dach einkaufen gehen können. Das war die Idee. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ein Einkaufszentrum eine ganz andere Wirkung hat. Das ist kein Spaß, zu dem man mal hinfährt, sondern es bewirkt, dass aus der nächsten Stadt die ganzen Einzelhändler in das Shoppingcenter umziehen, dann der Kunde, und dann ist die Stadt leer und kaputt. In Amerika erfüllen die Einkaufszentren einen bestimmten Zweck, die Versorgung der weit auseinandergezogenen Städte ist anders gar nicht möglich. Aber für die viel zu kleinen deutschen Städte sind Einkaufszentren an der Peripherie tödlich.

IZ: Haben Sie deshalb das Angebot, in Oberhausen ein weiteres Einkaufszentrum zu bauen, abgelehnt?

Brune: Ja. Die Ghermezian-Brüder, die in Edmonton ein Center mit 500.000 m2 besaßen, wollten mit mir dort ein großes Center bauen. „Ich als Städteplaner, ein Totengräber der Städte?“, sagte ich zu ihnen, „das können Sie vergessen!“ Die Brüder konnten gar nicht glauben, dass ich so einen Auftrag ablehne. Sie wollten, dass ich sie wenigstens berate. „Ich kann Ihnen höchstens abraten“, antwortete ich und drohte, die Regierung zu warnen. Sie waren entstetzt und verließen unter Protest mein Büro.

IZ: 1986 wurde dann Ihr wohl bekanntestes Projekt fertiggestellt: die Kö-Galerie.

Brune: Bei der Kö-Galerie ging es mir darum, das Einkaufszentrum, das sich als Magnet erwiesen hatte, zu nutzen, um eine Innenstadt zu aktivieren. Ich hatte schon länger nach einem Grundstück gesucht, wo ich dies an einem Beispiel zeigen konnte. Über Lutz Aengevelt bekam ich das Angebot, ein Industriegrundstück mit schmalem Zugang zur Kö zu kaufen. Knapp 100 Mio. sollte das kosten, was auf den ersten Blick idiotisch klang. Zehn Tage zog ich mich in meine Jagdhütte zurück. Immer wieder habe ich gezeichnet, gerechnet, kalkuliert. Am Ende stellte sich heraus: Es rechnet sich fantastisch, es kann nichts schiefgehen! Es war ein glänzendes, erfolgreiches Projekt bis zuletzt. Na ja, jetzt baut es ECE um. Glücklich bin ich nicht damit, ich habe aber keinen Einfluss mehr darauf. Ein Rolltreppenhaus als Mittelpunkt anstatt eines Forums als Meetingpoint der Stadt, das ist nicht mehr meine Welt.

IZ: Es folgten ähnliche innerstädtische Einkaufsimmobilien in Kassel, Köln, Düsseldorf, Karlsruhe und die Heuvel-Galerie in Eindhoven, auf die Sie besonders stolz sind.

Brune: Die Gemeinde, die mir Millionen als Honorar zahlte, hat mir nach der Eröffnung eine Skulpur geschenkt, die angeblich 60.000 Gulden gekostet hat. Als Dank für den Architekten. Das war die größte Freude in meinem Berufsleben.

Passt auf unsere Städte auf!

IZ: Was muss ein innerstädtisches Einkaufszentrum oder eine Stadtgalerie, wie Sie es nennen, mitbringen, um einer Stadt zu helfen?

Brune: Sie darf zwischen 5.000 und höchstens 20.000 m2 groß sein. Sie muss die Sortimente aufnehmen, die in der Stadt fehlen. Unter der Galerie muss es eine große Tiefgarage geben, denn der Kofferraum ist die größte Einkaufstasche. Sie muss multifunktional sein. In Eindhoven haben wir z.B. eine Philharmonie integriert. Eine Einkaufsgalerie, wie ich sie mir vorstelle, ist ein öffentlicher Raum, der bis in die Nacht und auch am Sonntag geöffnet ist. Und noch etwas: Eine Einkaufsgalerie muss ein Highlight der Architektur sein. Der architektonische Anspruch sollte nicht geringer sein als bei einer Kirche oder einem Museum. Im Stil keinesfalls modernistisch, eher klassisch. Der Stadt angepasst. Die Stadtgalerie muss der Stadt etwas bringen – nicht das Gegenteil. Galerie und vorhandene Einkaufszone müssen eine Einheit bilden mit gleichen Interessen.

IZ: Zum Schluss: Welchen Rat geben Sie den Städten?

Brune: Passt auf, dass die Shoppingcenter-Industrie nicht alle unsere schönen Kulturstädte, die wir in 2.000 Jahren aufgebaut haben, in 20 Jahren kaputt machen.

IZ: Herr Brune, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Christoph v. Schwanenflug.

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