Arbeitnehmer haben Selbst-Fürsorge zu tragen
In Zeiten von uneingeschränkter Erreichbarkeit, größtmöglicher Mobilität und Deadline-getriebener Projektarbeit hat der Druck auf die Arbeitnehmer deutlich zugenommen; das Privatleben bleibt dabei häufig auf der Strecke. Immer mehr Unternehmen legen deswegen Programme zum Gesundheitsmanagement auf, um die Work-Life-Balance ihrer Angestellten zu verbessern. Doch nicht nur die Unternehmen tragen Verantwortung, auch die Arbeitnehmer sind gehalten, für sich selbst Fürsorge zu tragen.
Schon in der Bibel heißt es: „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke beschicken. Aber am siebenten Tag […] da sollst du kein Werk tun …“. Neudeutsch wird diese Verpflichtung zur Nicht-Arbeit auch Work-Life-Balance genannt. Doch die garantierten Auszeiten werden in der modernen Arbeitswelt immer seltener. Der letzte Ruhepuffer, das Wochenende, sei durch die modernen Kommunikationsmedien ausgehöhlt worden, sagt Christian Maier, Gründer des inner game Instituts. Und der Coach geht in seiner Kritik sogar noch weiter: „Das heutige Wirtschaftssystem eignet sich nicht für eine Work-Life-Balance.“
Krankheitssymptome auf dem Vormarsch
Dieses Problem haben auch immer mehr Unternehmen erkannt, denn eine berufliche Überlastung kann zu Krankheiten und damit zu Ausfällen führen. Studien hätten gezeigt, dass etwa zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung bereits Krankheitssymptome oder -bilder aufzeigen, sagt Bernhard Badura. Am Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Bielefeld bietet der Professor Weiterbildungen und einen Masterstudiengang zum betrieblichen Gesundheitsmanagement an.
Angesichts dieser Ergebnisse ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl der Arbeitnehmer, die ihre persönliche Work-Life-Balance evaluieren, zunimmt. Meist kommt das Thema bei Menschen in der Lebensmitte um die 50 auf, die Bilanz ziehen, sagt Carolin Eichholz, Psychologin und Coach. Oder bei Arbeitnehmern, die auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz sind und ihr bisheriges (Arbeits-)Leben auf den Prüfstand stellen, sowie jungen Leuten, die in einer anderen Welt aufgewachsen sind und Freiräume für das eigene Privatleben von vorneherein einforderten. Auch externe Veränderungen wie eine Scheidung, Unfälle, Krankheiten oder Burn-out-Syndrom seien Auslöser für die Bestandsaufnahme, ergänzt Maier.
Viele Maßnahmen sind sofort umsetzbar
Doch sich des Problems bewusst sein allein reicht nicht. Dann muss eine Verhaltensänderung beim Arbeitnehmer einsetzen, und dabei können die Arbeitgeber helfen. Einseitig nach den Unternehmen als „Versorger“ zu rufen, sei jedoch der falsche Ansatz, warnt Eichholz. Doch die Unternehmen können zum einen mit materiellen Angeboten wie der Einrichtung von Kinderkrippen, flexiblen Arbeitszeiten und Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen entlastend eingreifen. Nicht zu unterschätzen sind die immateriellen Angebote, wie eine die Work-Life-Balance Ernst nehmende Unternehmenskultur. Lange Anwesenheit sollte nicht belohnt, Besprechungen sollten nicht nach 18 Uhr angesetzt und Workshops nicht am Wochenende stattfinden. Das sei sofort umsetzbar und müsse von den Führungskräften entsprechend vorgelebt werden, sagt Eichholz. „Wenn die Bereitschaft da ist, dann ist alles machbar.“
Wie wichtig eine entsprechende Kultur ist, betont auch Maier. Die Einrichtung von Ruheräumen allein bewirke nichts, wenn sich die Mitarbeiter nicht dort hineintrauen, weil sie negative Äußerungen befürchten oder sich ausstempeln müssten, so Maier.
Dass eine höhere Sensibilität für Work-Life-Balance-Themen besteht, hat auch Frank Lenzen, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Sibeth beobachtet. „Geld ist nicht alles“, so Lenzen. Die Mitarbeiter forderten inzwischen Gleitzeit oder die Möglichkeit, von Zuhause arbeiten zu können, aktiv ein. Der Gesetzgeber hat anders als beim Thema Überstunden jedoch für flexible Arbeitszeitmodelle keine Vorgaben gemacht. Hier liegt die Umsetzung im „billigen Ermessen“ des Arbeitgebers, d.h. er muss sich fair verhalten. Sofern es keine Sachgründe für feste Arbeitszeiten gebe, liege es also in der Hand der Arbeitnehmer, aktiv das Gespräch zu suchen, um für sich flexiblere Zeiten zu erfragen. In Unternehmen mit Betriebsrat sind Arbeitszeitmodelle in der Betriebsvereinbarung geregelt.
2008 führte die DekaBank die Arbeitsautonomie für ihre außertariflichen Mitarbeiter ein und auch die tariflichen Mitarbeiter haben die Möglichkeit, in die Vertrauensarbeitszeit zu wechseln. Bereits seit mehr als fünf Jahren steht die Work-Life-Balance der Mitarbeiter im Fokus. Angefangen mit Angeboten zur Kinderbetreuung über die Einrichtung von Krippenplätzen bis hin zu einem Deka Health Center, in dem ein Fitnessstudio und eine Therapieeinrichtung bereitstehen, ergänzt durch flexible Arbeitszeitmodelle. Dadurch hätten die Mitarbeiter auch die Möglichkeit, tagsüber das Deka Health Center zu nutzen, so Birgit Horn, Leiterin von HR Service bei der DekaBank.
Gesundheitsmanagement dient auch der Mitarbeiterbindung
Wer bei der DekaBank im Vorstellungsgespräch das Thema Work-Life-Balance anspreche, werde auch noch zur nächsten Bewerberrunde eingeladen, sagt Horn. Das Unternehmen will gezielt sein Programm zur lebenszyklusorientierten Personalarbeit, zu dem auch das Gesundheitsmanagement zählt, für die Mitarbeiterbindung und -gewinnung einsetzen. Damit sind die Banker nicht allein. 14% der bei der Joboffensive 2009 befragten 94 Unternehmen gaben an, sowohl Gesundheitsprogramme als auch Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur Mitarbeiterbindung einzusetzen. Für die Zukunft hat sich die DekaBank vorgenommen, Angebote für die Pflege von Angehörigen zu schaffen sowie zum Thema psychische Probleme aufzunehmen. Im Frühjahr dieses Jahres wird eine Mitarbeiterbefragung offenbaren, wie die neuen Angebote von der Belegschaft bewertet werden. Horn zeigt sich zufrieden mit den ersten Ergebnissen der Aktivitäten zum Gesundheitsmanagement. „Die Fehlzeiten sind auf einem sehr niedrigen Niveau, und des Themas Langzeiterkrankungen werden wir uns künftig noch annehmen.“
Neues Zertifikat beim Aufbau eines Gesundheitsmanagement
Doch die Fehlzeiten sind gar nicht die relevante Kennzahl, sagt Professor Badura. So entstünden drei Mal höhere Kosten durch den Präsentismus, also durch Mitarbeiter, die trotz Krankheit zur Arbeit erschienen, als durch die Fehlzeiten. Gerade seelische Erkrankungen führten zu großen Kosten. Er setzt sich dafür ein, dass Unternehmen, die ins Gesundheitsmanagement investieren, weiter gehende Steuererleichterungen erhalten als bisher und die Bonusprogramme der Krankenkassen ausgeweitet werden. Schließlich entlasteten die Unternehmen die Sozialversicherungssysteme mit ihrem Engagement. „Unternehmen sind keine Wellnessbetriebe“, sagt Badura. Aber der Umweg über den Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg lohne sich für beide Seiten. In Kürze können sich Unternehmen ihr betriebliches Gesundheitsmanagement auch mit dem neu entwickelten Social Capital & Occupational Health Standard zertifizieren lassen. Das Entscheidende sei, so Badura, dass der Entwicklungsprozess hin zu einem Gesundheitsmanagement in den Unternehmen in Gang komme. (sma)
Wie sieht Ihre Work-Life-Balance aus?
Wenn Sie wissen möchten, wie es um Ihre Work-Life-Balance bestellt ist, empfiehlt Carolin Eichholz, Psychologin und Coach, folgenden kurzen Test: Schreiben Sie auf, wie viel Prozent Ihrer Zeit Sie für die Arbeit, für sich selbst, Ihre Familie, Ihre Freunde und sportliche bzw. gesundheitsförderliche Tätigkeiten aufbringen. Vergessen Sie die Zeit, die Sie mit Schlafen verbringen nicht. Kommen Sie über 100%? Dann fangen Sie von Neuem an. Keiner der genannten Bereiche darf fehlen. Kritisch ist es, wenn ein absolutes Ungleichgewicht zutage kommt. Ihr Ergebnis überrascht Sie? Dann sollten Sie Ihre bisherige Prioritätensetzung hinterfragen!
TIPP
„Zufriedenheit ist machbar! Selbsttraining zur Work-Life-Balance“ heißt der praxisorientierte Ratgeber von Gabriele Haas und Rita und Dirk Strackbein. Viele Fragebögen (auch auf CD-ROM) helfen bei der Selbstanalyse (Cornelsen Verlag, 2009, ISBN 978-3-589-23608-4, 18,95 Euro).