Anschreiben verlieren an Bedeutung
Die Deutsche Bahn tut es, manche Immobilienfirmen ebenso: Sie setzen die Hürden im Bewerbungsprozess bewusst niedrig, um Personal zu akquirieren. Dabei bleibt das Anschreiben oftmals auf der Strecke. Ein Personalberater hält davon wenig. Das mache den Prozess ineffizient, sagt er.
Die Deutsche Bahn hat vor kurzem medienwirksam verlauten lassen: Wir wollen bei Bewerbungen um die Ausbildungsplätze ab 2019 auf ein Anschreiben verzichten. Mit diesem Experiment reagiert das Unternehmen auf den erhöhten Personalbedarf, der sich aus einer absehbaren Pensionierungswelle ergibt. Den Bewerbern soll es damit so einfach wie möglich gemacht werden, sich bei der Bahn zu bewerben, erklärt Bahn-Personalerin Carola Hennemann.
Damit befindet sich die Bahn zurzeit in einer ähnlichen Lage wie viele Immobilienunternehmen. Sie suchen ebenfalls händeringend nach Personal. Für manche ist es dann folgerichtig, die Hürde für Interessenten im Bewerbungsprozess möglichst niedrig zu halten. So gibt sich beispielsweise Piepenbrock Facility Management in Bezug auf die Bewerbung um Stellen wie in der Gebäudereinigung, im technischen Bereich, im Segment Sicherheit oder bei Gärtnerarbeiten recht anspruchslos. Interessenten können sich per Onlineformular ans Unternehmen wenden. „Hier sind nur Angaben zur Person, den möglichen Arbeitszeiten, dem Einsatzort sowie die Adressdaten erforderlich“, teilt ein Sprecher mit. Die üblichen Bewerbungsunterlagen können, müssen aber nicht angefügt werden. Ein kompletter Verzicht auf ein Anschreiben wäre künftig durchaus denkbar. Ausnahmen sind Stellen mit erforderlichen Qualifikationsnachweisen. Im zweiten Schritt der Bewerbung nimmt Piepenbrock dann Kontakt zum Bewerber auf. Das kann ein ausführliches Telefonat oder gleich die Einladung zum Vorstellungsgespräch sein. Dort werden dann die weiteren Informationen abgefragt, die für die offene Stelle relevant sind.
Mit diesem Vorgehen will Piepenbrock auch Medienbrüche vermeiden. „Wenn beispielsweise der Bewerbungsvorgang am Upload des Anschreibens im pdf-Format vom Handy aus scheitert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Bewerber keinen zweiten Versuch unternimmt“, erklärt der Sprecher.
Das Handy scheint in der FM-Branche ein durchaus gängiges Medium bei der Bewerbung zu sein. Nicht umsonst hat Bayern Facility Management im Frühjahr eine Recruiting-App zum Laufen gebracht. Zunächst wird den Bewerbern ein Unternehmensvideo gezeigt. „Dabei stellen wir uns als Unternehmen vor und zeigen, welche Berufsbilder es bei uns gibt“, erklärt Cristina Muderlak, Projektverantwortliche fürs „Employer Branding“ bei Bayern FM. Das macht vor allem deswegen Sinn, weil sich die App nicht auf konkret ausgeschriebene Stellen bezieht, sondern als ständig verfügbarer Kanal funktioniert. Anschließend dürfen die Bewerber drei Fragen zur eigenen Motivation per Selfievideo beantworten.
Die App erfülle das, was ein Anschreiben leiste, sagt Muderlak. „Man bekommt darüber ein Gefühl dafür, wer sich dort bewirbt.“ Im anschließenden Telefonat werden dann Fragen zur Motivation des Bewerbers gestellt. „Und dabei habe ich eine Tonspur“, betont Muderlak. Die gebe deutlich mehr zur Person preis als ein ausformuliertes Anschreiben. Auch das Ausmaß an Deutschkenntnissen offenbare sich da bereits.
Nach dem ersten Bekanntwerden der App hat es über diesen Weg etwa 30 Bewerbungen bei Bayern FM gegeben. Aktuell ist die Android-Version fertig geworden, sodass Muderlak mit noch höherer Resonanz rechnet.
Auf den persönlichen Eindruck legen auch die Immobilienberater von Colliers International besonderen Wert. „Generell gilt es, die richtige Person mit den passenden Fähigkeiten im Unternehmen zu platzieren“, sagt Carsten Liede, Head of Human Resources. „Zum Teil ergeben sich die ersten Gespräche ganz ohne Unterlagen über den persönlichen Kontakt zum Kandidaten oder Empfehlungen.“ Das gelte insbesondere bei der Besetzung offener Stellen, die mindestens eine dreijährige Berufserfahrung im Bereich Immobilienberatung voraussetzen. In anderen Fällen hält Liede angesichts des heutigen Fachkräftemangels zumindest das Anschreiben für verzichtbar. Der Lebenslauf ist es, den er als „das zentrale Dokument“ bezeichnet.
Eine schlankere Bewerbung kommt derweil für den Kölner Wohnungsmakler Roland Kampmeyer nicht infrage. Im Gegenteil. Er sagt sich, dass ein qualifizierter Mitarbeiter, wie er ihn sucht, beispielsweise auch in der Lage sein sollte, seine komplette Bewerbung in eine einzige pdf-Datei zu packen. Auf ein Anschreiben will er dabei ungern verzichten. „Ja, es ist alles nicht so recht glaubwürdig, was da steht“, gibt er zu. „Aber an einem Anschreiben erkennt man bereits eine gewisse Kreativität.“ Über Videotelefonate und mehrere Gespräche im Büro macht sich Kampmeyer dann ein genaueres Bild des Kandidaten.
Kampmeyer findet in Thomas Flohr, Managing Partner bei Bernd Heuer Karriere, einen Mitstreiter für das Anschreiben, gerade, aber nicht nur bei Führungspositionen. „Wer sich über den Lebenslauf für eine Stelle qualifiziert, für den sollte auch ein Anschreiben keine große Hürde sein.“ Er betont darüber hinaus die Kernaufgabe dieses Dokuments. Erst wenn sich ein Interessent eingehend mit dem Unternehmen, der ausgeschriebenen Stelle und seinen individuellen Stärken und Schwächen auseinandergesetzt habe und prägnant auf den Punkt bringt, wieso das alles so gut zusammenpasst, kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Bewerber bereit ist für den Job. „Und dass die Bewerbung keine Postwurfsendung ist.“
Dieser wichtige Schritt der Reflexion ziehe sich später durch das gesamte Bewerbungsverfahren, berichtet Flohr aus seiner Erfahrung. Der Kandidat gehe gut vorbereitet in die Gespräche. Deswegen sei das Anschreiben auch vom Vorstands- bis zum Juniorposten eine gute Lösung.
Auf das Anschreiben zu verzichten, mache das Verfahren indes „komplett ineffizient“. Denn es müssten andere Wege gesucht werden, die Motivation des Bewerbers zu erfragen. Telefonate, die sich einer Kurzbewerbung anschließen, sind nicht zu empfehlen. Das raube Zeit, binde Personal und koste Geld.