Marktkompetenz geht über alles
Regelmäßige Fortbildungen sind für Bewertungssachverständige ein Muss. Auch der internationale Berufsverband RICS hat inzwischen den Wert kontinuierlicher Fortbildungen erkannt und honoriert Fortbildungsleistungen seiner Mitglieder mit entsprechenden Zertifikaten. Der Weg ist richtig, doch „ethische Standards“ alleine reichen nicht aus, meint Gastautor Jochem Kierig. Entscheidend wird neben Sachkompetenz und Berufserfahrung die nachgewiesene Marktkompetenz sein. Das müsse bereits in der Ausbildung berücksichtigt werden.
Die Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) in Deutschland vergibt zum ersten Mal so genannte CPD-Zertifikate (CPD: Continuing Professional Development). Damit soll eine kontinuierliche Fortbildung der Mitglieder zertifiziert werden, titelte ein Online-Medium Ende März dieses Jahres. Für die Erlangung eines CPD-Zertifikats müssten die Mitglieder ein Minimum von 20 Fortbildungsstunden pro Jahr über einen Zeitraum von drei Jahren leisten. Mit der Verleihung der CPD-Zertifikate ist die RICS indes erstmals über die Maßgaben für die Qualifikation ihrer Verbandsmitglieder in ihrem Red Book hinausgegangen. In dem Handbuch werden Anforderungen an die Mitglieder formuliert und diese auf die Einhaltung gewisser Standards verpflichtet. Das Gebot der permanenten Fort- und Weiterbildung ist eine der Säulen der RICS-Ethik.
Die Initiative der RICS ist begrüßenswert, da damit eine Angleichung an die qualitätsgesicherte Praxis der Zertifizierung nach der DIN/EN ISO/IEC17024 (kurz ISO 17024) stattfindet, die von ihren Absolventen drei Dinge verlangt: den Nachweis von jährlich mindestens drei Weiterbildungstagen zur Sicherstellung ihrer Qualifikationen, Rezertifizierungen im Abstand von fünf Jahren sowie die Vorlage von mindestens drei Praxisgutachten im Gültigkeitszeitraum des Zertifikats. Mit dem Fortbildungsnachweis und den Rezertifizierungen sowie den Praxisgutachten soll sichergestellt werden, dass die Zertifizierten die Entwicklungen in der Bewertungsbranche mitverfolgen und nachvollziehen und dass sich ihre Auftraggeber immer auf ihre in einer Prüfung nachgewiesene Kompetenz verlassen können. Gerade bei international angesehenen Qualitätssiegeln wie der ISO-17024-Zertifizierung oder einer Mitgliedschaft in der altehrwürdigen RICS ist diese Gewähr, die über eine Selbstverpflichtung hinausgeht, besonders wichtig.
Schlüsselkriterien: Fachkompetenz und Berufserfahrung
Doch was bedeutet in diesem Zusammenhang Kompetenz? Welche „hard skills“ werden von einem Bewertungssachverständigen erwartet, wenn man neben der Unabhängigkeit bestimmte „soft skills“ wie Kundenorientierung, Seriosität und Zuverlässigkeit als gegeben ansieht?
Lange Zeit herrschte die Ansicht, zwei Dinge seien entscheidend: die Berufserfahrung und die nachgewiesene Fachkompetenz. Das spiegelte sich in den Ausbildungsgängen und Prüfungen der entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsinstitutionen wider. Aber auch in den gesetzlichen Regularien wie etwa der Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV), in der es in § 6 zu den Anforderungen an Gutachter heißt: „Der Gutachter muss nach seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Bewertung von Immobilien verfügen; eine entsprechende Qualifikation wird bei Personen, die von einer staatlichen, staatlich anerkannten oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Immobilien bestellt oder zertifiziert worden sind, vermutet.“ Und weiter: „Bei der Auswahl des Gutachters hat sich die Pfandbriefbank davon zu überzeugen, dass der Gutachter neben langjähriger Berufserfahrung in der Wertermittlung von Immobilien speziell über die zur Erstellung von Beleihungswertgutachten notwendigen Kenntnisse, insbesondere bezüglich des jeweiligen Immobilienmarkts und der Objektart, verfügt.“
Die Situation bei Kapitalanlagegesellschaften
Auch Kapitalanlagegesellschaften haben sich gemäß § 77 Investmentgesetz (InvG) vor der Bestellung eines Sachverständigen in den Sachverständigenausschuss davon zu überzeugen, dass dieser nicht nur über angemessene Fachkenntnisse und langjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Immobilienbewertungen allgemein, sondern auch im Hinblick auf die zu bewertende Immobilienart und den jeweiligen regionalen Immobilienmarkt verfügt. Eine entsprechende Qualifikation hinsichtlich der Fachkenntnisse wird laut Gesetzesbegründung auch hier beispielsweise bei Personen vermutet, die von einer staatlichen, staatlich anerkannten oder nach DINEN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige für die Wertermittlung von Immobilien bestellt oder zertifiziert worden sind. Damit ist klar: Fachkenntnisse und Berufserfahrungen sind nach Auffassung des Gesetzgebers die Schlüsselkriterien bei der Auswahl der Gutachter.
Ähnlich wie die BelWertV und das InvG argumentiert auch die Rechtsprechung. So formuliert ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Blickwinkel des Wettbewerbsrechts drei Anforderungen an Gutachter: eine erforderliche Sachkunde, ein uneingeschränkt fundiertes Fach- und Erfahrungswissen (Berufserfahrung) sowie ein Nachweis darüber, wie er den erforderlichen Sachverstand erworben hat. Der Gutachter muss demzufolge dokumentieren können, wie er seinen Sachverstand erlangt hat. Nämlich nach Ansicht der Richter „regelmäßig durch eine erfolgreich abgeschlossene (Berufs)Ausbildung oder ausnahmsweise durch eine langjährige Mitarbeit bei einem anerkannten Sachverständigen, der die Anforderungen erfüllt und beurteilen kann, ob der Mitarbeiter sich diese auch angeeignet hat.“
Ortsansässigkeit keine Garantie für Marktkompetenz
Mit der Vorlage der ISO-17024-Zertifizierung haben viele Auftraggeber, Kreditinstitute wie Kapitalanlage- und Immobiliengesellschaften die Gewähr, dass der Sachverständige dokumentierten Sachverstand und fundiertes Erfahrungswissen besitzt. Und dass er sein Wissen in regelmäßigen Abständen auffrischt. Eine aufwendige Überprüfung der Eignung und Befähigung des Sachverständigen durch den Auftraggeber selbst ist damit nicht länger erforderlich.
Dennoch rückt neben belegter Fachkompetenz und nachgewiesener Berufserfahrung immer stärker ein dritter Faktor in den Mittelpunkt: die Marktkompetenz. Denn die Zusammenhänge sind zwar global, die Märkte jedoch lokal. Mit Marktkompetenz ist gemeint, dass der Bewertungssachverständige die lokale Marktsituation kennen muss, um zu marktgerechten Ergebnissen zu gelangen. Auch in der bereits genannten BelWertV sowie dem InvG werden die Anforderungen genannt, nämlich „notwendige Kenntnisse, insbesondere bezüglich des jeweiligen Immobilienmarkts“.
Viele Ausbildungs- und Prüfungsinstitutionen haben bisher auf den Aspekt der Marktkompetenz zu wenig geachtet, zu wenig getan, um zu garantieren, dass Absolventen die erforderliche Marktkompetenz besitzen. Vielleicht aufgrund der Erwartungshaltung, eine Vor-Ort-Präsenz des Sachverständigen sei ausreichend, um Marktkompetenz zu erwerben. Das ist aber oft nicht der Fall: Eine Ortsansässigkeit des Sachverständigen ist lediglich ein Indiz, aber keineswegs eine Garantie für lokale Marktkompetenz.
Wie kann in der Ausbildung sichergestellt werden, dass der Absolvent in der Lage ist, die notwendige Marktkompetenz zu erlangen? Dazu ist es notwendig, die Marktkompetenz bereits in der Sachverständigenausbildung zu einem Schwerpunkt zu machen. Zu vermitteln sind insbesondere Kenntnisse über Marktmechanismen, Datenquellen und Methoden zur Ableitung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten. Die in der Ausbildung befindlichen Sachverständigen müssen mithilfe von Gutachten nachweisen, dass sie in der Lage sind, die theoretisch erlangte Fachkompetenz praktisch umzusetzen. Außerdem sollten sie in speziellen Ausarbeitungen belegen, dass sie über die erforderlichen örtlichen Marktkenntnisse verfügen und die Methoden zur Erlangung dieser Kenntnisse beherrschen.
Zu den Aufgaben in den Ausarbeitungen zählen die Erkundung der zur Verfügung stehenden lokalen Marktdaten, der Abgleich der lokalen Marktdaten mit überörtlichen Referenzsystemen, die Beurteilung der Qualität und Differenzierung der lokalen Marktdaten sowie die Ableitung eigener lokaler Marktdaten mittels empirischer Kaufpreisanalysen. Ziel dieser Ausarbeitungen ist es, dass jeder Absolvent imstande ist, seinen örtlichen Markt zu erkunden und einzuschätzen. Die Qualifizierung belegt in diesem Fall die Beherrschung des lokalen Markts – eine zentrale Qualifikation, da sich erst aus der Kombination von Fachkompetenz, Berufserfahrung und Marktkompetenz fundierte marktgerechte Wertaussagen ergeben. Wie Fachkompetenz verlangt auch Marktkompetenz eine permanente Wissensaktualisierung. Hier bietet es sich an, dass Sachverständige z.B.in Form von Arbeitskreisen gemeinsam kontinuierlich das Marktgeschehen beobachten.
Wissen muss permanent aktualisiert werden
Kontinuierliche Weiterbildung und die dokumentierte Fach- und Marktkompetenz zahlen sich sowohl für Auftraggeber als auch für Bewertungssachverständige aus: z.B. für Kreditinstitute und Kapitalanlagegesellschaften in Form der Sicherheit, dass der Gutachter die gesetzlichen und sonstigen Anforderungen erfüllt und zudem eine marktgerechte Bewertung vornimmt, und für den Sachverständigen in Form der Sicherheit, den Kunden bestmöglich zu betreuen und sich in einem harten Wettbewerb von Mitbewerbern, die diese Kriterien nicht erfüllen, abzuheben.
Standards – wie das Gebot der permanenten Fort- und Weiterbildung – sind wichtig und sollten gerade in einem hart umkämpften Markt eine Selbstverständlichkeit sein. Wichtiger hingegen ist heute der Nachweis über die gegebene Fach- und Marktkompetenz sowie die stetige Aktualisierung dieser Kompetenzen. Angehende Sachverständige sollten bei der Auswahl einer Ausbildungsinstitution darauf achten, dass diese die Erlangung notwendiger Marktkompetenz vermittelt und dies gegenüber den Auftraggebern nachgewiesen werden kann.