'Wissensarbeiter erwarten Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit'
Wer einen Arbeitsvertrag unterschreibt, der schließt auch immer einen psychologischen Vertrag ab, der die eigenen Erwartungen an den Arbeitgeber beinhaltet. In einer Gesellschaft, in der es immer weniger unbefristete Vollzeitstellen, dafür aber mehr Projektarbeit gibt, verändern sich auch diese Verträge. Längst hat die Forschung noch nicht alle unterschwellig ablaufenden Prozesse ergründet. Eines ist jedoch sicher: Nicht nur die Beziehung zwischen Arbeitgeber und -nehmer wird sich nachhaltig verändern, sondern auch die Rolle von Personalern. Wie insbesondere höher qualifizierte Arbeitskräfte (Wissensarbeiter) mit flexiblen Beschäftigungsverhältnissen die Arbeitswelt erleben, erläutert Prof. Uta Wilkens, Leiterin des Lehrstuhls Arbeitsmanagement und Personal an der Ruhr-Universität Bochum, im Interview.
Immobilien Zeitung: Frau Wilkens, Sie forschen zu psychologischen Vertragsverhältnissen. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Uta Wilkens: Neben dem formalen Arbeitsvertrag geht jeder, egal ob Ingenieur oder Fließbandarbeiter, auch eine psychologische Bindung mit seinem Arbeitgeber ein, hat eine Erwartungshaltung und ein Verpflichtungsgefühl. Häufige Bestandteile sind Entgelte, Entwicklungsmöglichkeiten, Leistungserbringung und Loyalität. Danach unterscheiden sich die psychologischen Verträge von Beschäftigten.
IZ: Die aktuelle Krise hat nun gezeigt, dass auch bei großem Engagement die lebenslange Anstellung bei einem Unternehmen passé ist. Wie wirken sich die veränderten Arbeitsbedingungen auf die Erwartungshaltung der Arbeitnehmer aus?
Uta Wilkens: Das hängt vom eingegangenen psychologischen Vertrag ab. Wenn man an die stark beziehungsorientierten, die so genannten relationalen psychologischen Verträge denkt, bei denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer langfristig aneinander binden, der Mitarbeiter im Betrieb eine bestimmte Entwicklung durchlaufen und idealerweise ein lebenslanges Beschäftigungsverhältnis erhalten möchte, dann kann durch die Krise eine innere Distanz zum Unternehmen entstehen. Der Arbeitgeber sendet ja Signale, dass er dieses implizite Versprechen möglicherweise nicht wird halten können.
Beschäftigungsfähigkeit löst das feste Beschäftigungsverhältnis ab
IZ: Gilt das auch für die von Ihnen untersuchten Arbeitnehmer in flexiblen Beschäftigungsverhältnissen?
Wilkens: Diese haben in der Regel einen neuen psychologischen Vertrag, sind in einer anderen Weise sicherheitsorientiert. Sie machen das weniger an einer dauerhaften Beschäftigung in einem Unternehmen fest, sondern an dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit im allgemeinen. Übrigens findet sich diese Haltung besonders bei den hoch qualifizierten Arbeitskräften. Diese haben sich zudem meist eine innere Unabhängigkeit bewahrt; der Ausstieg ist für sie eine Option des persönlichen Handlungsspektrums. Daher dürfte für diese Gruppe die aktuelle Krise wahrscheinlich etwas weniger bedrohlich wirken, aber das ist eine Hypothese.
Neue Aufgaben für die Personalverantwortlichen
IZ: Was verlangt diese gut ausgebildete und sicherlich begehrte Gruppe von ihrem Arbeitgeber konkret?
Wilkens: Um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern, ist es für diese Gruppe äußerst wichtig, dass sie in der Zeit, in der sie für ein Unternehmen tätig sind, auch Verantwortung übernehmen und an interessanten Projekten arbeiten können – und das fordern sie auch in stärkerem Maße ein …
IZ: … und da sind die Personalverantwortlichen dann in besonderem Maße gefragt?
Wilkens: Genau, denn sie müssen Antworten auf Fragen wie „Wie findet Entwicklung in der Arbeit für die mobilen, hoch qualifizierten Wissensarbeiter statt? Wie kann ich überbetriebliche Netzwerke für mein Unternehmen nutzen?“ finden. Außerdem müssen sich die Personaler fragen, ob sie ihre Arbeit nur innerhalb der Grenzen ihrer eigenen Organisation machen oder vielleicht für ein Unternehmensnetzwerk?
Da kommen ganz neue Aufgaben auf die Personalverantwortlichen zu! In der hochschulübergreifenden Forschungsarbeit und in der IT-Branche lässt sich dieser Trend bereits jetzt beobachten.
IZ: Das kann sicherlich nicht jedes Unternehmen leisten. Manch eines wäre dann vielleicht mit einer reinen „Geld gegen Arbeit“- Austauschbeziehung zufrieden. Welches Modell ist denn für welches Unternehmen am günstigsten?
Wilkens: Das untersuchen wir gerade in einem aktuellen DFG-Forschungsprojekt und hoffen, Anfang 2010 bereits die ersten Antworten zu haben. Bislang wurde das Thema meist von der Arbeitnehmerseite her betrachtet.
IZ: Dann zurück zu den Arbeitnehmern. Wenn sie keine langfristige Unternehmensbindung anstreben, sind sie dann gänzlich vogelfrei?
Wilkens: Nein, die Ebene, auf der Wissensarbeiter ihre Stabilität herstellen, sind persönliche Netzwerke, in denen sie sich über Jahre bewegen. Und zu diesen Netzwerken sollten Unternehmen ebenfalls Beziehungen aufbauen, weil sie als Arbeitsmarkt fungieren.
Dauerhafte Netzwerke sind die Basis der Wissensarbeiter
IZ: Erfüllt der Arbeitgeber die Erwartungen nicht mehr, zieht dann der Wissensarbeiter einfach weiter?
Wilkens: Nein, er weiß, dass er keine verbrannte Erde hinterlassen darf und Projekte gut abschließen muss, um sich im Netzwerk weiter bewegen zu können. Er wird dann aber einen geeigneten Zeitpunkt für eine Ausstiegsoption ausloten.
IZ: In Deutschland herrscht Fachkräftemangel, deswegen sollten Unternehmen einen psychologischen Vertragsbruch besser vermeiden. Wie gelingt das?
Wilkens: Vorgesetzte und Mitarbeiter sollten sehr offen und regelmäßig einen Erwartungsabgleich vornehmen. Wo kann das Unternehmen bestimmte Erwartungen bedienen und wo nicht? Besonders in Auswahlinterviews wird die Unternehmenswelt sehr positiv beschrieben. Die Bedingungen und die Möglichkeiten, die die Stelle mit sich bringt, müssen aber so realistisch wie möglich gezeichnet werden. Das ist viel wichtiger als aufwendig gestaltete Recruiting-Broschüren, mit denen der Bruch des psychologischen Vertrags quasi vorbereitet wird. Wer erfolgreich Mitarbeiter anwerben und dauerhaft gewinnen will, der muss seine Versprechen auch halten können!
IZ: Frau Wilkens, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sonja Smalian.