Strukturierte Exit-Gespräche bringen Erkenntnisse für die Zukunft
Wenn ein langjähriger Mitarbeiter die Firma verlässt, reagieren Kollegen und Vorgesetzte oft emotional. Doch Unternehmen wie Drees & Sommer oder Ziegert zeigen, dass ein strukturiertes Offboarding nicht nur den Abschied erleichtern, sondern auch wichtige Informationen für die Zukunft liefern kann. Damit das gelingt, müssen die letzten Gespräche aber wichtige Themen abdecken und vergleichbar gemacht werden.
Bis vor wenigen Jahren verliefen Abschiedsgespräche bei der Ziegert Group rein nach Bauchgefühl. Dadurch waren die Gesprächspunkte, die Personalmanager und Führungskräfte einbrachten, uneinheitlich und es konnte kein Feedback für die Zukunft extrahiert werden. 2019 hat sich das Unternehmen entschieden, die Prozesse zu überarbeiten. Und davon profitiert der Arbeitgeber, wie Personalchefin Maria Liebich erklärt: „Wir haben gemerkt, wie wichtig das Feedback ist, das wir durch einen durchdachten Offboarding-Prozess bekommen.“ Liebich und ihr achtköpfiges Team haben einen mehrstufigen Ablauf etabliert, der ein respektvolles Miteinander nach einer Kündigung ermöglichen soll. Berücksichtigt werden ordentliche Übergaben, Wissenstransfer, Abschiedspartys und auch eine mögliche Wiederkehr. Wenn ein Mitarbeiter kündigt, gibt es zwei einstündige Termine für ihn: ein Gespräch mit der HR-Abteilung und eins mit der Führungskraft.
Die einheitlichen Prozessschritte für die Offboarding-Gespräche hat die Personalabteilung auf einer Checkliste festgehalten. Darin geht es um das Arbeitszeugnis, die Arbeitsbescheinigung, Resturlaub, Überstunden, sämtliche Kontaktdaten, den Hinweis auf die Verschwiegenheitsverpflichtung und auch um die Festlegung des letzten Arbeitstags.
Neben der Liste als Orientierung bekommen Führungskräfte zur Vorbereitung auf ein Exit-Gespräch auch eine Beratung durch die HR-Experten im Haus. „Viele glauben das nicht, aber ohne die Checklisten und die vorbereitenden Gespräche gehen wirklich viele Informationen verloren. Oder es werden wichtige Dinge nicht abgefragt“, sagt Liebich und nennt Mitgliedschaften im Sportclub auf Firmenkosten als Beispiel. Aber auch ein Hinweis, dass die Angabe des Arbeitgebers in sozialen Netzwerken aktualisiert werden muss, sei wichtig, um Verwirrungen bei Außenstehenden zu verhindern. „Wir hatten schon mehrere Heads of Sales auf Linkedin“, sagt Liebich und lacht.
Leitfäden machen Feedbacks vergleichbar
Bei Ziegert sind die HR-Manager verschiedenen Geschäftsbereichen zugeordnet, auch deshalb sei es wichtig, dass die Gespräche anhand jeweiliger Leitfäden ablaufen. So können die Daten strukturierter gesammelt werden. In den Exit-Gesprächen wird es neben dem formalen Teil auch durchaus persönlich: Das Unternehmen will möglichst viel über die Kündigungsgründe erfahren. Um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, kann der betreffende Mitarbeiter selbst entscheiden, an wen innerhalb der Unternehmensgruppe diese Gesprächsinhalte weitergegeben werden, um auf ihrer Grundlage Veränderungen anzustoßen.
Die häufigsten Gründe für eine arbeitnehmerseitige Kündigung sind laut Liebich der Wechsel in eine andere Stadt, das Bedürfnis, sich noch einmal neu zu orientieren, die Branche zu wechseln oder sich weiterzuentwickeln. Liebich und ihr Team halten diese Gründe sorgsam fest und konnten mit der Zeit ein Muster erkennen: Den meisten fehlte es an einer Perspektive oder einem Karrierepfad, den sie verfolgen konnten. Deshalb sprechen Führungskräfte mit ihren Teammitgliedern inzwischen intensiver und vor allem regelmäßig über diese Themen. Auch für solche Entwicklungsgespräche gibt es mittlerweile einen Leitfaden.
Bei Drees & Sommer übernimmt allein die HR-Abteilung den Offboarding-Prozess: Wer kündigt, bekommt einen Interviewbogen zugeschickt. Die Fragen enthalten Feedbackmöglichkeiten zum Arbeitsumfeld und zur Führungskraft genauso wie zum Teamgefüge und zur eigenen beruflichen Entwicklung während der Anstellung. Dafür gibt es Freitextfelder und Skalenangaben.
Nicht zuletzt will aber auch Drees & Sommer vor allem die individuellen Kündigungsgründe wissen. Dafür folgt eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch. Das Angebot ist jedoch freiwillig. Alle Erkenntnisse, die Drees & Sommer während des Offboardings gewinnt, fließen in eine Austrittsauswertung ein und werden den Fachbereichen mitgeteilt.
Offboarding geht über das Arbeitsverhältnis hinaus
„Was die administrative Organisation betrifft, sind Unternehmen recht weit“, sagt Personal- und Organisationsentwicklerin Angelika Gaßmann, Herausgeberin des Fachbuchs „Offboarding. Fach- und Führungskräfte verlassen die Organisation“. Was jedoch die Fähigkeiten für eine sensible Gesprächskultur betrifft, wünschten sich viele Führungskräfte mehr Training und eine vorgegebene Gesprächsstruktur, sagt sie. Ihrer Meinung nach liegt die Verantwortung für das Offboarding-Gespräch bei den direkten Vorgesetzten. Möchte ein Unternehmen wahrhaftiges Feedback, was es hätte tun können, um einen Mitarbeiter zu halten, brauche es ein hohes Maß an Vertrauen und Integrität. „Ich traue dies aufgrund meiner Erfahrung nur wenigen Führungskräften zu. Denn es bedeutet, auf kritische Rückmeldungen nicht gekränkt zu reagieren, sondern mit echtem Interesse und der Bereitschaft, lernen zu wollen.“
Mit dem Abschied eines Kollegen sollte das Offboarding nicht direkt als abgeschlossen gelten. Laut einer Studie der Königsteiner Gruppe gaben 43% der mehr als 1.000 Befragten an, dass sie sich eine Rückkehr zu ihrem alten Arbeitgeber vorstellen können. Teilgenommen haben Arbeitnehmer aller Altersstufen, die sich in den letzten drei Jahren in mindestens einem Bewerbungsprozess befunden haben. Erschütternd ist, dass nur 5% der Befragten es dann tatsächlich tun. Dabei birgt das Rehiring oder Boomerang Hiring viel Potenzial (siehe „So gelingt es Ex-Mitarbeiter zurückzuholen„).
Die Ziegert Group lädt deswegen Ehemalige zu Teamevents ein und bleibt in Kontakt mit Alumni, meist über soziale Netzwerke. Zuletzt kam eine ehemalige Praktikantin nach drei Jahren als HR-Managerin wieder. Drees & Sommer hat für eine stärkere Bindung zu Ex-Beschäftigten das Alumni-Programm „Stay in Contact“ ins Leben gerufen. Mit Erfolg: Im Jahr 2022 gab es 22 Rehires, 2023 bereits 13.
Doch nicht nur wer kündigt, auch wer in den Ruhestand geht, braucht ein professionelles Offboarding, am besten während der gesamten letzten drei Arbeitsjahre. Obwohl ein Abschied durch einen Renteneintritt für den Arbeitgeber weniger überraschend kommt als eine Kündigung, gibt es laut Gaßmann nur in wenigen Firmen Standards für diesen Fall.
„Das müssen Unternehmen sich ganz anders ins Bewusstsein heben“, sagt sie. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sei es ratsam, seine Experten über das reguläre Renteneintrittsalter im Unternehmen zu beschäftigen. Das kann durch geringfügige Beschäftigung, ehrenamtliches Engagement bis hin zur Verlängerung des Arbeitsverhältnisses gehen.
Und noch einen Punkt merkt die Expertin an: Ein gutes Offboarding wird von den scheidenden Arbeitnehmern oft mit positiven Aussagen über den Ex-Arbeitgeber auf Business- und Bewertungsplattformen wie Kununu belohnt. „Beim Offboarding haben Unternehmen die Chance, durch einen wertschätzenden Umgang mit dem Arbeitnehmer gute Geschichten zu schreiben à la: Ich habe den Arbeitgeber gewechselt, aber er ist fair und gut mit mir umgegangen. Ich könnte mich jederzeit wieder dort bewerben“, sagt Gaßmann.
Die Autorin: Jeanne Wellnitz ist Journalistin bei der Wirtschaftsredaktion Wortwert.